In der Folge von Hamletmaschine schreibt Heiner Müller Anfang der Achtzigerjahre einen Dialog, der nur 14 Zeilen lang ist. Das Stück beginnt mit: »EINS: Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen. / ZWEI: Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen. / EINS: Mein Herz ist rein. / ZWEI: Das werden wir ja sehn.« Es folgt eine Operation am offenen Herzen, an deren Ende eine Überraschung steht: »Arbeiten und nicht verzweifeln. So, das hätten wir. Aber das ist ja ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein.« Vielleicht ist das Stückchen Text nicht mehr als ein Gag. Vielleicht ist es nur die Etüde eines müden Dramatikers aus Vorwendezeiten. Vielleicht ist es aber auch der nächste Schritt des großen Datenkomprimierers Heiner Müller. Ein Stück über Liebe und Zeit, über Arbeit und Verzweiflung.
Sebastian Nübling und das Ensemble aus schwer arbeitenden Harlekinen setzen mit Herzstück die Arbeit fort, die sie mit Hamletmaschine begonnen haben. In seiner Kürze ist Herzstück eine Provokation, die auf den Kern der Frage nach Arbeit zielt. In Zeiten von Arbeitszeitflexibilisierung und bullshitjobs, von Neoprekarisierung und Start-up-Proletariat, von als Freiheit getarnter Ausbeutung und vielbesungener Alternativlosigkeit markieren Clowns die Lücke im Ablauf, den Fehler im reibungslosen Leistungsdrucksystem, der das Nachdenken ermöglicht: Für wen arbeiten wir eigentlich wieviel woran?
Hereinspaziert! Wir zeigen heute: Ein Herzstückchen über Arbeit an der Farce, über Nicht-Arbeit als Rebellion, über Theater als Unterbrechung und Heiner Müller als Direktor eines Zirkus’ aufmüpfiger Clowns im kapitalistischen Herbst.
Hinweis: Bei dieser Inszenierung ist leider kein Nacheinlass möglich für Zuschauer*innen, die verspätet kommen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
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Premiere am 16/August 2019
Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Ute Langkafel
»Wenn das kein denkwürdiger Saison-Einstieg ist!«
»Dass es mehr Mut braucht, um aus einem klassischen Text einen heutigen zu machen und aus einem kleinen Abend einen großen, war am zweiten Tag des Eröffnungswochenendes im Gorki-Theater zu erleben. Eigentlich kann man darüber nur staunen. Denn auch im siebten Jahr ihrer Intendanz schaffen es Shermin Langhoff und Jens Hillje immer noch mühelos, einen Esprit und eine lebendig-engagierte Relevanzstimmung in dem kleinen Haus am Festungsgraben zu entfalten, dass es eine Freude ist.«
»Der Container: eine Wunderkiste, der kaum eine gelungenere kleine Eröffnung bereitet werden konnte als die Clownsnummer, die Sebastian Nübling und das 7-köpfige Exilensemble des Gorki nun aus Heiner Müllers 12-zeiligem Herzstück machten.«
»Man muss einiges an zirkuserprobter Geduld aufbringen, bis das Herzstück echten Charme und profunde Selbstironie aufsprudeln lässt. Dann verdichtet es sich allerdings zur erfreulich leichtgängigen Feier des Abbruchs, der Nicht-Leistung, der Kapitulation vor der eingeforderten (Theater-)Großartigkeit, in dem die planlos in der Gegend herumspringenden Clowns wie schrille Stiefgeschwister der lebensuntüchtigen Zauberer und Nebelmaschinenfabrikanten aus dem Thom-Luz-Universum wirken.«
»›Aber das ist ja ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein‹, sagt der Beschenkte bei Müller. ›Aber es schlägt nur für Sie‹, ist die Antwort. Mit diesem Satz endet der gut einstündige Abend im Container. Es ist die Liebeserklärung des Künstlers an sein Publikum, der Abend für Abend sein Herz auf die Bühne legt. Mit mehr Liebe kann ein Theater seine Saison wohl kaum eröffnen.«
»The show’s frenzied, absurdist style frequently yields laughs from the audience, as the clowns, who manage to establish surprisingly distinct personalities in a vacuum of actual plot, continuously change their activities onstage and the overall direction of the show. Highlights include Dominic Hartmann’s role as a frustrated master of ceremonies, Karim Daoud’s laconic Müller-esque asides throughout, and Vidina Popov’s unhinged monologue that comes at the climax of the piece.«