Sie leben an einem Autobahnzubringer digital vereinsamt, durch Klamotten von der Stange mühsam in einer Form gehalten. Sie haben sich und den anderen nicht viel zu sagen, die Erinnerungen sind nicht der Rede wert, die Zukunft erst recht nicht und das Gespräch mit den Kindern, Katzen, Nachbarn ist schon lange abgebrochen. Der homo europaeus jedweden Geschlechts und Alters in Sibylle Bergs neuem Stück ist in der Warteschleife der automatischen Sinnbeantwortung hängengeblieben. Aber es gibt Wege aus der Krise! Berg setzt eine Gesellschaft im psychotektonischen Prekariat auf die Couch ihres Therapeuten. Der heißt „Hassmaster“, und führt in drei lyrischen Flügelschlägen seine Probanden von der Anamnese der Tristesse, über die Erkenntnis der Wut hin zur Lösung aller Probleme. Ersan Mondtag inszeniert Bergs bitterböse Farce in einer Koproduktion mit den Wiener Festwochen als Singspiel mit Kompositionen von Beni Brachtel und Benny Claessens als Dark Angel der Gruppentherapie.
Sibylle Berg wurde für Hass-Triptychon – Wege aus der Krise mit dem Nestroy Theaterpreis 2019 ausgezeichnet.
Uraufführung 24/Mai 2019 bei den Wiener Festwochen
Hinweis: Die Produktion enthält Stroboskop-Lichteffekte, schnelle und flackernde Bildabfolgen, die negative Auswirkungen auf lichtempfindliche Zuschauer*innen haben können.
Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Judith Buss
Hass-Triptychon – Wege aus der Krise ist eine Produktion des Maxim Gorki Theaters in Koproduktion mit den Wiener Festwochen
Aufführungsrechte beim Rowohlt Theater Verlag, Reinbek bei Hamburg
»Teresa Vergho hat diese von Sibylle Berg mit einigem Zynismus vorgeführten Vertreter des abgehängten Mittelstands in sehr lustige Trollkostüme und spitzohrige Masken gesteckt, sodass das revuehafte Singspiel, das Ersan Mondtag aus Bergs Farce macht, wie die Hobbit-Version des Musicals "Les Miserables" daherkommt: in neonbunter Künstlichkeit, wie Mondtag sie zu seinem Stil erhoben hat, aber auch als ein so übertrieben depressives Verarmungs- und Verödungstheater, dass es in der Gesamtanmutung nicht denunziatorisch, sondern schön böse zugespitzt ist.«
»Das dreiflüglige Triptychon, das von der Farce mit Kabarettanteilen immer wieder, aber nur andeutungsweise zum Musical wechselt, trieft sowohl vor Empathie als auch vor Zynismus − und haut dem Publikum beides um die Ohren.«
»Magnet des Abends ist Benny Claessens, der nicht nur seinen Hatern verbalsadistisch zu Leibe rückt ("Ihr könnt euch doch gleich aufbahren lassen!"), sondern auch dem Publikum zeigt, welch gefährliche Tiere aus einem Schauspielerkörper ausbrechen können.«
»Die Düsternis und dauernswerte Trostlosigkeit des zweistündigen Abends wird durch die Musik von Beni Brachtel mit vielen gekonnt schief gelegten Songs unterlaufen. Der Musical-hafte Furor verschafft komische Erleichterung, die abgeschlafften Körper formen sich zu Choreografien. Die Schauspieler, zum Teil vom Wiener Volkstheater, zum anderen aus dem Gorki-Ensemble, strapazieren ihre Freak-Figuren zur Kenntlichkeit. Es macht Spaß, ihnen zuzuschauen.«
»Dass es allerhand Spaß gibt, verdankt die Show – und das ist ihr Clou! dem Entertainer Benny Claessens: Eine pralle Rampensau als aashafter Krisentherapeut und Gegenhasser, der erst engelsgleich ganz in weiß, dann bis aufs Höschen nackt mit Glitzercreme wie eine Discokugel den entnervten Schweineohren-Chor dirigiert.«