»Grüß dich, Proletarische Kraft!«, sagte Kopjonkin zu dem schnaufenden, von der derben Kost übersättigten Pferd. »Wir reiten zu Rosas Grab!«
»Kopjonkin hoffte und glaubte, dass alle Dinge und Wege seines Lebens unweigerlich zu Rosa Luxemburgs Grab führten. Diese Hoffnung wärmte sein Herz und rief ihn zur Notwendigkeit tagtäglicher revolutionärer Heldentaten. Jeden Morgen befahl er dem Pferd, zu Rosas Grab zu sprengen, und das Pferd hatte sich an das Wort »Rosa« gewöhnt und ließ es als Aufbruchskommando gelten. Hörte es die Laute »Rosa«, dann bewegte es sogleich die Beine, egal, ob durch Sumpf, Dickicht oder tiefe Schneeklüfte.
»Rosa, Rosa!«, murmelte Kopjonkin unterwegs von Zeit zu Zeit, und das Pferd spannte den dicken Körper.
»Rosa!«, seufzte Kopjonkin und beneidete die Wolken, die in Richtung Deutschland fortzogen, sie würden über Rosas Grab hinweggehen und über die Erde, die sie mit ihren Schuhen getreten hatte. Für Kopjonkin führten alle Wege und Winde nach Deutschland, und auch wenn sie nicht dorthin gingen, umkreisten sie doch die Erde und würden Rosas Heimat erreichen.
Wenn der Weg lang war und kein Feind aufkreuzte, erregte sich Kopjonkin tiefer und herzlicher.
Heiße Sehnsucht ballte sich in ihm zusammen, und keine Heldentat geschah, um Kopjonkins einsamen Körper zu beschwichtigen. »Rosa!«, rief Kopjonkin kläglich, so dass das Pferd erschrak, und weinte an leeren Stätten unzählige große Tränen, die dann von selber trockneten.
Proletarische Kraft ermüdete gewöhnlich nicht vom Weg, sondern von der Schwere des eigenen Gewichts. Das Pferd war im Autal des Flusses Bitjug aufgewachsen, und manchmal tropfte ihm saftiger Speichel bei der Erinnerung an die süße Kräutervielfalt seiner Heimat.
»Willst du wieder was zu kauen haben?«, bemerkte Kopjonkin vom Sattel. »Nächstes Jahr geb ich dir einen Monat Urlaub im Steppengras, und dann reiten wir sofort zum Grab.«
Das Pferd empfand Dankbarkeit und trat mit Fleiß das Gras der Wege in seinen Erdgrund. Kopjonkin lenkte es nicht sonderlich, wenn sich der Weg unverhofft gabelte. Proletarische Kraft zog selbständig einen Weg dem anderen vor und kam immer dorthin, wo Kopjonkins bewaffneter Arm gebraucht wurde. Kopjonkin handelte ohne Plan und Marschroute, nur aufs Geratewohl und nach dem Willen des Pferdes; er hielt das allgemeine Leben für klüger als seinen Kopf.«
Andrej Platonow: Tschewengur, Suhrkamp Verlag, 2018.