»Auf dem Bahnhof fühlte Dwanow die Unruhe des verwucherten, vergessenen Raums. Wie jeden Menschen zog auch ihn die Ferne der Erde an, als ob alle fernen und unsichtbaren Dinge sich nach ihm sehnten und ihn riefen.
Zehn oder mehr namenlose Menschen saßen auf dem Boden und hofften auf einen Zug, der sie an einen besseren Ort bringen würde. Ohne Klage durchlebten sie die Qualen der Revolution und wanderten geduldig durch das Steppenrussland auf der Suche nach Brot und Rettung. Dwanow ging nach draußen, bemerkte auf dem fünften Gleis einen Militärzug und ging zu ihm. Der Zug bestand aus acht Flachwagen mit Fahrzeugen und Artillerie und zwei Personenwagen. Hinten waren noch zwei Flachwagen angekoppelt – mit Kohle.
Der Kommandeur der Abteilung ließ Dwanow in einen Personenwagen, nachdem er seine Dokumente geprüft hatte.
»Aber wir fahren nur bis zur Ausweichstelle Rasguljai, Genosse!«, erklärte der Kommandeur. »Weiter brauchen wir den Zug nicht, wir gehen in Stellung.«
Dwanow war auch mit Rasguljai einverstanden, von dort hatte er es näher nach Hause.
Die Rotarmisten schliefen fast alle. Sie hatten zwei Wochen bei Balaschow gekämpft und waren schwer erschöpft. Zwei hatten ausgeschlafen, sie saßen am Fenster und sangen vor Ödnis des Krieges ein Lied. Der Kommandeur las im Liegen die »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, herausgegeben von Tieck«, und der Politkommissar steckte irgendwo im Telegrafenbüdchen. Der Wagen hatte wohl viele Rotarmisten befördert, die auf den weiten Wegen an Heimweh litten und vor Einsamkeit Wände und Bänke mit Tintenstift vollgeschrieben hatten, mit dem von der Front immer Briefe in die Heimat geschrieben werden. Dwanow las in herzlicher Wehmut diese Sprüche, er las zu Hause auch immer den neuen Abreißkalender für das ganze Jahr im Voraus.
»Unsere Hoffnung liegt auf dem Meeresgrund vor Anker«, hatte ein unbekannter Wallfahrer des Krieges geschrieben und den Ort der Überlegung daruntergesetzt: »Dshankoi, 18. September 1918«.
Andrej Platonow: Tschewengur. Suhrkamp Verlag, 2018.