»In jungen Jahren hatte Sachar Pawlowitsch gedacht, dass er, erst einmal erwachsen, auch klüger werden würde. Aber das Leben war ohne Selbstbesinnung und ohne Halt dahingegangen, als unaufhörliche Begeisterung; kein einziges Mal hatte er die Zeit als gegenläufiges festes Ding empfunden, sie existierte für ihn nur als Rätsel im Mechanismus eines Weckers.
Aber nachdem er das Geheimnis der Unruhe Begriffe hatte, erkannte er, dass es keine Zeit gibt, sondern nur die gleichmäßige straffe Kraft der Feder. Doch etwas Stilles und Trauriges war in der Natur – irgendwelche Kräfte wirkten unabänderlich. Sachar Pawlowitsch beobachtete die Flüsse – ihre Geschwindigkeit und ihr Wasserstand schwankten nicht, und diese Beständigkeit hatte etwas beklemmend Schwermütiges. Natürlich hab es Hochwasser, gingen schwüle Regengüsse nieder, konnte einem der Wind den Atem nehmen, aber zumeist war das Leben still und gleichmütig tätig: das Strömen der Flüsse, das Wachsen der Gräser, der Wechsel der Jahreszeiten. Sachar Pawlowitsch nahm an, dass diese gleichmäßigen Kräfte die ganze Erde in Erstarrung hielten, sie bewiesen seinem Verstand hintenherum, dass sich nichts zum Besseren ändern würde; wie Dörfer und Menschen waren, so würden sie bleiben. Zum Erhalt der Kräftegleichheit in der Natur würde sich die Not der Menschen immer wiederholen. Vor vier Jahren war eine Missernte gewesen, die Männer waren zur Saisonarbeit weggegangen, und die Kinder hatten sich ins frühe Grab gelegt, aber dieses Schicksal war nicht ein für alle Mal vorbei, es kehrte jetzt wieder, damit der Lauf des allgemeinen Lebens stimmte.«
Andrej Platonow: Tschewengur. Suhrkamp Verlag, 2018.