»Wenn die Welt auch ständig davon schwafelte, dass wir keine Perspektive hatten, wussten wir: Das Gegenteil stimmte. Wir hatten zu viel Perspektive, hatten Dinge gesehen, die andere Kinder ihr Leben lang nicht sehen, während sie die Kürbissuppe ihrer Eltern löffeln.« Arda
Arda ist jung und weiß nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Er liegt mit Organversagen auf der Intensivstation seiner Heimatstadt im Ruhrgebiet und wartet, während sich die Wochen wie ein einziger nie enden wollender Tag anfühlen. Arda kann gar nicht anders, als sich noch einmal an die Momente zu erinnern, in denen er das Gefühl hatte, dem Leben ein Stückchen näher gewesen zu sein.
Da ist Aylin, Ardas große Schwester, die als Kind geliebt und doch weggegeben wurde, später aus der Familie abhaut, und es bei ihren Pflegeeltern auch nicht aushält. Da ist seine Mutter Ümran, die mit den Umständen und sich selbst kämpft, und für ihre Kinder in Deutschland doch so vieles besser machen wollte. Schwester und Mutter können vor lauter Verletzungen seit zehn Jahren nicht mehr miteinander sprechen. Ihr einziger gemeinsamer Berührungspunkt scheint Arda zu sein. Und da ist die Leerstelle in Ardas Leben. Sein Vater. Der nie wirklich da war und irgendwann ohne ein Abschiedswort verschwand. Arda will ihm jetzt für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer sein Sohn war und erzählt von der geraubten Zeit auf Ämtern, der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, den Jungs im Park, seiner Ersatzfamilie, dem Ringen mit der eigenen Männlichkeit, Aylins und Ümrans Sehnsüchten – Alles für und gegen den abwesenden Vater, für seine Familie, für sich. Necati Öziris Romandebüt Vatermal stand 2023 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Er war lange Jahre Dramaturg und künstlerischer Leiter des Studio Я, seine Theaterstücke Get Deutsch or Die Tryin' und Die Verlobung von St. Domingo kamen am Gorki zur Aufführung.
Uraufführung 21/Dezember 2024
Foto: Esra Rotthoff