WER SIND WIR?
Der CONTEMPORARY TRAGIC CHORUS (Zeitgenössischer Tragischer Chor) besteht aus mehrsprachigen, post-nationalistischen Performer*innen – Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Lebenserfahrungen, Religionen, Einstellungen, Altern, und körperlichen, intellektuellen und sozialen Verfassungen. Er ist eine Gemeinschaft, die das Ende der Welt so wie wir sie kennen versteht – eine Welt mit gewährleisteten Rechten, unverletzlichen Werten, stabilen Abgrenzungen, zugeteilten Gebieten, und ausreichenden Ressourcen. Unsere Gemeinschaft stellt sich in dieser Realität des Gesellschaftsuntergangs der Herausforderung, eine gemeinsame Stimme zu entwickeln und eröffnet somit die Möglichkeit ein neues WIR zu artikulieren.
Performer*innen: Sandra Bourdonnec, Angelika Götz, Veronika Heisig, Riah May Knight, Saskia Kollbach, Sibylle Kranwetvogel, Margaux Marielle-Tréhoüart, Hila Meckier, Gian Mellone, David JongSung Myung, Therese Nübling, Zero Pilnik, Filip Piotr Rutkowski, Michaela Maxi Schulz, Elena Schmidt, Weronika Wronka
WIE ARBEITEN WIR?
Die Grundlage für die Entwicklung der kollektiven Stimme des CHORUS sind Workshop-Trainings, die auf Marta Górnickas originellen Stimm-Schauspiel Übungen für die Stimme/den Körper basieren, und darauf abzielt, die organische Stimme zu finden. Kommunikation beginnt mit Lauten, die vom Körper hervorgebracht werden. Als die materielle Grundlage der Sprache, ist Kommunikation sowohl der Ursprung von Gemeinschaft als auch das Werkzeug der Ausgrenzung. Die grundlegende Verbindung zwischen den Körpern ist der Rhythmus. Durch ihn können sie in einen einzigen kollektiven Körper verschmelzen und so die Schönheit und den Horror der Gemeinschaft offenbaren. Der CHORUS agiert gleichzeitig als kritische und affektive »language-body machine« (Sprach-Körper Maschine) und versucht diese Sprach-/Kommunikationsebenen in ihrer ganzen Ambivalenz zu umfassen und zu untersuchen. Durch den CHORUS erfahren sie eine extreme Zuspitzung. Er erschafft die monströse Figur des Kollektivs. Der CHORUS arbeitet mit Sprache und kulturellen Texten, er sammelt und dekonstruiert linguistische Klischees, er mischt Sprachen und lässt sie aufeinander prallen. Er legt die Obszönität und die Gewalt der politischen Sprache bloß. Er errichtet einen Turmbau zu Babel und sprengt ihn in die Luft. Er untersucht die Grenzerfahrungen der Gemeinschaft.
Die Arbeit des CHORUS ist experimentell und prozesshaft.
WAS IST UNSERE GESCHICHTE?
Das erste zeitgenössische chorische Theater Ensemble – THE CHORUS OF WOMEN – wurde 2010 im Theater Institut in Warschau gegründet. Es handelte sich dabei um den Versuch die kollektive Stimme der Frauen in der Öffentlichkeit zurückzuerobern, was in Polen von besonderer Bedeutung war. Das Ensemble erschuf eine ästhetische, formale und ideologische Idee von einem Theater, das die Macht der kollektiven Stimme/des kollektiven Körpers (die für das westliche Theater konstituierend sind) mit Sprachkritik verknüpft. Als Referenz für den CHORUS galten der Chor der Antike und die gemeinschaftlichen Rituale, die sich an kollektiven Gesang und Tanz anlehnten, wobei der Chor diese Gemeinschaft hervorbrachte und demonstrativ überschritt und dadurch den Frauen, deren Körper und Sprache vom öffentlichen Raum ausgegrenzt worden sind, eine Stimme verlieh. Daher verweist der Name THE CHORUS OF WOMEN nicht auf das Geschlecht der Teilnehmer*innen, sondern hauptsächlich auf die politische Praxis des Zurückeroberns der Stimme und des kollektiven Widerstands der Ausgegrenzten und Unterdrückten.
In den nachfolgenden Jahren entwickelte der CHORUS seine Formsprache und seine Arbeitsweise. Seine Performances wurden europaweit mehrfach in über 60 der wichtigsten Theater-Festivals (darunter die Berliner Festspiele, das Zürcher Theater Spektakel, das Athens-Epidauros Festival, das Sens Interdits Festival Lyon, sowie auch in Indien, dem Vereinigten Königreich, Russland, Irland und Japan) aufgeführt. Der CHORUS agierte und intervenierte in sozialen und politischen Hot Spots: er arbeitete mit der Roma Gemeinschaft in der Slowakei als dem CHORUS OF ROMA PEOPLE, und in der Performance MOTHER COURAGE WON´T REMAIN SILENT (Mutter Courage wird nicht Schweigen) mit muslimischen Frauen, Kindern und israelischen Soldat*innen in Tel Aviv. Im ersten Jahr der rechten Regierung in Polen, als es mehrere Verfassungsverstöße gab, inszenierte der CHORUS die CONSTITUTION FOR THE CHORUS OF POLES (Verfassung für den Chor der Polen) in Warschau. Darüber hinaus brachte der CHORUS das Deutsche Grundgesetz am Brandenburger Tor und vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durch eine Performance zur Sprache.
GRUNDGESETZ | GG
Die Gründung des POLITICAL VOICE INSTITUTES vollzog sich im Rahmen der Performance GRUNDGESETZ, die 2018 beim 28-jährigem Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung vor dem Brandenburger Tor aufgeführt wurde. Ein mehrsprachiges, vielfältiges Ensemble aus 50 Performer*innen unterzog das Grundgesetz einem Stresstest. Es untersuchte zu welchem Grad die deklarierten Rechte und Freiheiten, die grundlegend für die deutsche Gesellschaft sind, in einer Zeit von globaler Migration und liberal-demokratischer Krise tatsächlich gelten. Wer ist das Subjekt der Verfassung? Was ist der Status der Menschen auf deutschem Boden, die nicht in den Gesetzen eingeschlossen sind? Wer ist der CHORUS, der die Wiedervereinigung des nationalen Staatswesens mit der Berliner Gesellschaft feiert?