»Franziska ist keine ›Schlacht unterwegs‹-Heldin; sie kommt voll strahlender Pläne in diese Stadt, in der man nichts verlangt als nüchternes Rechnen, schnelles und billiges Bauen (...) und nun versuche ich von allen Leuten, deren ich habhaft werden kann, zu erfahren, wieweit die Architektur einer Stadt das Lebensgefühl ihrer Bewohner zu prägen vermag, und mir scheint, sie trägt in gleichem Maße zur Seelenbildung bei wie Literatur und Malerei, Musik, Philosophie …« Brigitte Reimann, Tagebücher und Briefwechsel
»Warum soll ich nicht mein Leben genießen? In zehn oder zwanzig Jahren ist alles vorbei«, schreibt die gerade 22-jährige Brigitte Reimann in ihr Tagebuch. Mit nicht einmal 40 Jahren ist für die Autorin wirklich alles vorbei. Sie stirbt an Krebs. In ihrem zum »Kult« gewordenen letzten Roman schuf sie sich jedoch, eine Schwester »im Geiste«, die weiterlebt, bis heute. Wie sie selbst, eine gnadenlos Liebende, entscheidet sich die junge Architektin Franziska Linkerhand nach der »Mauer« für den Arbeiterstaat DDR und gegen ihre bürgerliche Herkunft. Eine Figur, die polarisiert, in allen Systemen die »Mittelmäßigen« und die »feigen Idioten« hasst. Sie ist vital, kantig, offen, für ein real existierendes Patriarchat schwer zu ertragen. Bewegt vom Traum einer avancierten und dennoch sozialen Architektur entscheidet sich Franziska gegen eine glänzende Karriere und für die Wirklichkeit von Neustadt. Dieses Muster einer so funktionalen, wie »schönen sozialistischen Stadt«, der große Versuch, verkommt jedoch rasend schnell zum Ort des »organisierten Pfusches«. Was die junge Architektin treibt, ist die Hassliebe zu den Baustellen, Planungsbüros, den durchsoffenen Nächten, den Männern und Frauen, der ruhelos gefährlichen Welt der Arbeit und Arbeitenden.
Sebastian Baumgarten rekonstruiert Franziska Linkerhand aus verschiedenen Perspektiven als eine moderne, uns gegenwärtige Frauenfigur, die sich den Zwängen des Lebens nicht kampflos anpassen kann und will. Auf der Bühne des Architekten Sam Chermayeff wird ihr Traum neu verhandelt, der Traum vom »Träumenmüssen«, der nicht aus ist, solange wir uns bewegen.
Premiere 18/Oktober 2024
Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Ute Langkafel
»Es geht ums Bauen. Ums Bauen von Häusern und das Bauen einer besseren Welt. Und so wird die Bühne oft selbst zum Protagonisten: zur Baustelle etwa, auf der Sam Chermayeff, der im richtigen Leben passenderweise selbst Architekt […] ist, immer wieder ein Ballett der Bauteile choreografieren lässt.«
»[Sebastian Baumgarten] erinnert sich an „die Angst und die Träume, die damals zerstört wurden“, eine unterbrochene Zukunft. Das, so möchte „Linkerhand“ vermitteln, ist aus den Bau-Utopien der 60er und 70er geworden.«
»Die Metaphorik liegt auf der Hand: Gerungen wir hier nicht nur um humanen Städtebau, sondern um die Architektur der Gesellschaft schlechthin. Das ist auch der Punkt, der Sebastian Baumgarten in seiner Inszenierung am Maxim Gorki Theater interessiert. Die Bühne, die mit dem Sam Chermayeff Office ein Architekturbüro entworfen hat, versprüht universellen Baustellen-Charme: Türen hängen vom Schnürboden, Fertigteilhäuserfronten werden hin und her bewegt.«