»Es gibt keine Rückkehr aus dem Exil. Wir sind eine Emigrantengeneration – ob wir weggegangen oder zu Hause geblieben sind. Die Füße der einen trugen sie aus Deutschland hinaus, unter den Füßen der anderen ist Deutschland weggegangen.«
Erich Maria Remarque, 1968
Der Hafen von Lissabon war der Ort, an dem sich für viele Exilant*innen die Möglichkeit einer Flucht aus dem faschistischen Europa verband. Von hier gingen die Schiffe in die USA, für die meisten war die Schwelle zur Freiheit – ein Ticket und ein Visum – eine unüberwindliche. Die Nacht von Lissabon ist der Bericht von Helen und Josef und ihrer verzweifelten Liebe auf der Flucht durch Europa. Hakan Savaş Micans Überschreibung folgt Remarques Erzählung auf einer heutigen Reise von Osnabrück über Zürich und Paris bis nach Lissabon. Mican sprengt die geographischen und zeitlichen Grenzen und verwebt sein persönliches Reisetagebuch mit der Geschichte des Buches. In das Schicksal des Paares spiegelt er das Ringen um Verortungen von Arbeitsmigrant*innen und die nicht geschriebenen Biografien der namenlosen Toten in den Fluten des Mittelmeers. Damals wie heute lässt der rettende Hafen Menschen auf der Flucht zu Schmuggler*innen ihres eigenen Überlebens werden. Wie kann eine sich selbst als »frei« bezeichnende Gesellschaft funktionieren, wenn das Leben nur so viel gilt, wie der Stempel in deinem Pass? Mit Remarque geht Mican der Frage der Zugehörigkeit auf einem Kontinent nach, der sich als kulturelle und geographische Festung neu zu definieren versucht. Er erzählt aber auch von der Hoffnung, vom Wunder der Liebe und von der Möglichkeit der Solidarität. Zusammen mit dem Videokünstler Benjamin Krieg ist Mican auf den Spuren Remarques durch Europa gereist und zeichnet mit Dimitrij Schaad, Anastasia Gubareva und einer vierköpfigen Live-Band ein Zeit und Raum ausmessendes Bild von Aufbruch und Nie-Ankommen.
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Premiere am 11/Januar 2019
Aufführungsrechte: Die Nacht von Lissabon nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln). Die Bühnenrechte wurden vermittelt durch Mohrbooks (Zürich) für New York Unversity, successor-in-interest to the literary rights of The Estate of the Late Paulette Goddard Remarque
Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Ute Langkafel
»[...] dabei entsteht eine kunstvoll gestaltete Collage, in der Fiktion und Realität, Vergangenheit und Gegenwart gleichberechtigt nebeneinander stehen.«
»Die Inszenierung gibt einen guten Überblick über den krisenhaften Zustand des Kontinents, dem der Regisseur eine bittere Diagnose stellt: Ein freies, gleiches und solidarisches Europa war, ist und bleibt eine kitschige Legende.«
»Auch schön: Dem Männlichkeitsverständnis der Sechzigerjahre setzt er einfach eine ganze Szene in heruntergelassener Hose entgegen.«
»Der Filmemacher und Theaterautor Hakan Savaş Mican hat Remarques 1962, mehr als zwanzig Jahre nach dessen eigener Emigration in die Vereinigten Staaten, erschienenen Roman für die Bühne des Maxim Gorki Theaters bearbeitet. Dafür ist er die europäische Fluchtroute der beiden Protagonisten noch einmal abgefahren und hat über seine Empfindungen dabei Tagebuch geführt. Immer wieder schiebt er die so entstandenen Textcollagen behutsam unter das Original, das dadurch aber nicht überschrieben oder in die Gegenwart transportiert wird, sondern eine zweite, leise begleitende Stimme bekommt.«
»Schon für diese vorsichtige […] Art, mit der hier von Flucht und Unfreiheit erzählt wird, lohnt sich der Abend. Zum Ereignis wird er durch die Besetzung: Mit Anastasia Gubareva und Dimitrij Schaad sind zwei phantastische junge Schauspieler zu sehen, die beide so gierig und verschwenderisch spielen, als wäre diese Geschichte nur für sie, nur für diesen Abend geschrieben.«
»Die Mittel der Regie und der Bühne an diesem Abend sind schlicht und unprätentiös. […] Schaad und Gubareva spielen unter der Leitung ihres selbsterklärten ›Regieromantikers‹ […] so frei und durchdrungen, dass man gar nicht aufhören will, ihnen zuzusehen.«
»Eine Fluchtgeschichte voller zeithistorischer Brutalität, psychoanalytischer Melodramatik und gebrochenem Heldenpathos.«
»Das Schönste an dem Abend ist die für das Gorki nicht unbedingt typische Leichtigkeit und Offenheit im Spiel, mit der diese schweren und erdrückenden Fragen aufgeworfen werden.«
»Die Selbstironie, die Schaad seiner Begnadetheit und herrlichen Eitelkeit abgewinnt, bereichert Remarques Figur, holt sie vom Sockel und bringt sie uns in den finsteren Momenten näher, als es das Buch vermag.«
»Die Traurigkeit bricht erst später, nach dem grandiosen Applaus, über einen herein, wenn man Schutz und Hut des Theaters und der Poesie verlassen hat und wieder draußen und allein ist. Aber doch nicht allein.«
»Stoffe wie ›Die Nacht von Lissabon‹ kann man, gerade angesichts des Weimar-Live-Reenactments, das derzeit draußen in Deutschland gegeben wird, gar nicht oft genug als Mahnmal auf die Bühne stellen. Und wenn es eine Moral des Abends gibt, so ist es die simple Einsicht, dass man erbittert und mit aller Entschlossenheit dagegen angehen muss, wenn der faustische Mensch in Deutschland, Europa oder sonst wo mal wieder die Lichter ausknipsen will.«
»›Der Mensch‹, heißt es bei Remarque, ›war um diese Zeit nichts mehr; ein gültiger Pass alles.‹ Was dieser Umstand mit den Menschen macht, das hat Hakan Savaş Mican zu einem berührenden, warmherzigen Abend verdichtet, der unaufdringlich bis in unsere Gegenwart reicht.«
»Mag das momentweise auch kitschig werden, seicht wird es nie an diesem Abend, der aufs schönste eine Liebesgeschichte erzählt.«
»Anfangs wird auf fast leerer Bühne gespielt, aber der Raum füllt sich und wie. Alles zusammen weitet diesen Abend zu einem sehenswerten Gefühls-Panorama über Abschied, Verlieren und sich Wiederfinden in unruhigen Zeiten.«
»Anastasia Gubareva neben ihm ein ganz eigenes Ego-Universum: im Rock und Schirmmütze von einer Schöhnheit wie aus einem französischen Roadmovie entsprungen, mit einem intelligenten Stolz, der alles abperlen lässt, Begehrlichkeit, aber auch Angst. […] Gubareva ist als Musikerin mindestens genauso gut. Griechische, portugiesische Lieder singt sie mit samtweicher Stimme und bei aller fast überirdischen Schönheit völlig ungekünstelt.«
»Schaad ist umwerfend darin, sowohl sich in Figuren zu verwandeln als auch eine Variation seiner selbst zu performen. Ein Schauspiel-Triumph!«
»Hier muss keine Aktualität behauptet werden, hier wird sie sinnlich erfahrbar! Das auch dank der vierköpfigen Band um Jörg Gollasch und Anastasia Gubareva, die hinreißend singt und als Helen herrlich rätselhaft bleibt. Was für ein Paar, was für ein Drive! Man mag sich gar nicht sattsehen an dieser Emotionalität ohne Kitschrand, diesem erzählerischen Sog. Einer der schönsten Gorki-Abende seit langem.«
»Es ist einer dieser seltenen Abende, die den Zuschauer bewegen, berühren, erschüttern – und doch nicht verzweifeln lassen. Denn das facettenreiche und vorwitzige Spiel von Schaad und Gubareva hinterlässt einen Funken Hoffnung. Europa ist zwar hochgradig verwirrt, es muss aber nicht immer so bleiben.«
»Er besitzt Energie und Charme, der Schauspieler Dimitrij Schaad. Wenn er zu Beginn von ›Die Nacht von Lissabon‹ auf die leere Bühne des Berliner Maxim Gorki Theaters stürmt, betätigt er sich von Anfang an mit Selbstironie. Als reflektierende ›Rampensau‹, spielt er viele Figuren, manchmal gleich zwei ganz alleine.«
»Dazu die fabelhafte Schauspielerin Anastasia Gubareva, die nicht nur die Frauenrolle mit Kraft und Wandlungsfähigkeit spielt, sie singt diese so unterschiedlichen Lieder mit so viel Intensität und, ja zugleich herrlichem Wohlklang, dass man diesen Abend, so wie das Publikum es tat, nur bejubeln kann.«
»Und was sich da heranerzählt und für Augenblicke in Spiel verwandelt, in Realität oder mindestens Realismus, in Lachen und Weinen, in Fragmente der Leichtigkeit und solche, die berühren wie lange nichts mehr in Berliner Theatern, ist eine Geschichte, die nie begann und nie endet, weil sie immer schon da war. Die des entwurzelten Wanderers, der durch die Welt streift und nie ankommt.«