»Alle vier Jahre war eine Missernte, und das Dorf ging zur Hälfte in die Schächte und Städte, zur anderen Hälfte in die Wälder.
Seit jeher weiß man, dass auf Waldlichtungen sogar in Dürrejahren Kräuter, Gemüse und Korn gut gedeihen. Die im Dorf gebliebene Hälfte stürzte zu diesen Lichtungen, um ihr Grünzeug vor der blitzartigen Plünderung durch Ströme gieriger Pilger zu bewahren. Aber diesmal wiederholte sich die Dürre im folgenden Jahr. Das Dorf schloss seine Katen ab und begab sich in zwei Abteilungen hinaus auf die Landstraße – die eine ging nach Kiew, um zu betteln, die andere nach Lugansk zum Broterwerb; einige aber bogen ab in den Wald und die verstrüppten Schluchten, aßen rohes Gras, Lehm und Rinde und verwilderten. Gegangen waren fast nur Erwachsene, die Kinder waren schon beizeiten gestorben oder davongelaufen, um zu betteln. Die stillenden Mütter ließen ihre Säuglinge nach und nach verschmachten, sie hatten nicht genug für sie zu trinken.
Da war eine alte Frau, Ignatjewna, die heilte die Kleinen vom Hunger. Sie gab ihnen einen Pilzaufguss, zur Hälfte mit süßen Kräutern vermischt, und die Kinder, trockenen Schaum auf den Lippen, wurden friedlich und still. Die Mutter küsste ihr Kind auf die gealterte, runzlige Stirn und flüsterte:
»Du hast ausgelitten, mein Kleiner. Dem Herrn sei Dank!«
Ignatjewna stand dabei.
»Er ist hinübergegangen, ist still; er sieht besser aus als im Leben und hört jetzt im Paradies den silbernen Wind.«
Die Mutter betrachtete liebevoll ihr Kind und glaubte an die Erleichterung seines traurigen Geschicks.
»Nimm meinen alten Rock, Ignatjewna, mehr kann ich dir nicht geben. Hab Dank.«
Ignatjewna hielt den Rock gegen das Licht und sagte:
»Du musst ein bisschen weinen, Dmitrewna, das ziemt sich so. Aber dein Rock ist ja völlig abgetragen, gib noch ein Tüchlein dazu oder schenk mir dein Bügeleisen.«
Sachar Pawlowitsch blieb allein im Dorf, ihm gefiel die Menschenleere.«
Andrej Platonow: Tschewengur. Suhrkamp Verlag, 2018.