REVOLUTION: Sterben im Alltag der Revolution


»Ein Lokführer aus dem Depot, der Revkomvorsitzende, sagte zu Dwanow:
»Die Revolution ist ein Risiko: wenn’s schiefgeht, reißen wir das Erdreich heraus und lassen den Lehm übrig, sollen sich sonst welche Hundesöhne davon ernähren, wenn’s dem Arbei¬ter nicht geglückt ist!«
Eine besondere Aufgabe gaben sie Dwanow nicht, sagten bloß: »Leb hier mit uns, da geht’s allen besser, und dann sehen wir weiter, wonach du dich mehr sehnst.«
Dwanows Altersgenossen saßen im Klubhaus am Marktplatz und lasen fleißig revolutionäre Werke. Rings um die Leser hingen rote Losungen, und durchs Fenster war der gefährliche Raum der Felder zu sehen. Leser und Losungen waren schutzlos – direkt aus der Steppe war mit einer Kugel der über ein Buch gebeugte Kopf eines jungen Kommunisten zu erreichen.
Während sich Dwanow an die kämpfende Revolution in der Steppe gewöhnte und die hiesigen Kameraden liebgewann, kam aus dem Gouvernement ein Brief mit dem Befehl zur Rückkehr. Dwanow verließ die Stadt schweigend und zu Fuß. Bis zum Bahnhof waren es vier Werst, aber wie er ins Gouvernement kommen sollte, wusste er nicht, er hatte gehört, dass Kosaken die Strecke besetzt hielten.
Vom Bahnhof kam ein Orchester übers Feld und spielte eine traurige Musik, da wurde, wie sich herausstellte, der erkaltete Körper des gefallenen Nechworaiko getragen, den hatten mitsamt seiner ganzen Abteilung die wohlhabenden Bewohner im großen Dorf Peski bei Nacht und Nebel vernichtet. Dwanow bekam Mitleid mit Nechworaiko, weil nicht Vater und Mutter ihn beweinten, sondern bloß die Musik, und die Menschen folgten ihm ohne Gefühl im Gesicht, selber bereit, unausweichlich zu sterben im Alltag der Revolution.
Die Stadt hinter Dwanow sank vor seinen zurückblickenden Augen in ihr Tal, und ihm tat dieses einsame Nowochopjorsk leid, als wäre es nun ohne ihn noch schutzloser.«

Andrej Platonow: Tschewengur. Suhrkamp Verlag, 2018.