Auf dem Foto sieht man zwei Schauspieler vor einem Stacheldrahtzaun stehen. Der vordere Schauspieler ist oberkörperfrei und hält eine goldene Kassette in seiner rechten Hand. Seine Brust ist verpixelt. Seinen linken Arm hebt er über seinen Kopf und in der Hand hält er eine weiße Maske, die sein Gesicht halb verdeckt. Der hintere Schauspieler hält den unteren Teil derselben Maske mit seiner rechten Hand fest. Er ist in eine silberne Rettungsdecke gewickelt.

Pop, Pein, Paragraphen

Eine Deutschstunde von Cem Kaya feat. Ekİm Acun alias ŞOKOPOP

2024 feiert das Grundgesetz sein 75-jähriges Jubiläum – und damit die Maxime, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar sei. Im gleichen Jahr kommt es, kurz nach der Offenlegung des Potsdamer-Geheimtreffens zu Massendeportationsplänen, mit der neuen Asylreform zum massivsten Angriff auf das individuelle Recht auf Asyl, den es in der EU je gegeben hat – Gefolgt von einer Europawahl, in welcher der befürchtete dramatische Rechtsruck noch übertroffen wird.

 

2024 ist es auch rund 40 Jahre her, dass sich der 23-jährige Cemal Kemal Altun aus dem 6. Stock des Oberverwaltungsgerichts Berlin stürzte. Der politisch engagierte Student war 1980 nach West-Berlin geflohen, da er nach dem Militärputsch in der Türkei nicht mehr sicher war. In der BRD war ihm zwar politisches Asyl gewährt worden, aber das deutsche Innenministerium selbst hatte gegen diese Entscheidung geklagt – und die Militärdiktatur über Altun informiert. Diese sah daraufhin von der Todesstrafe ab, um für die BRD die Möglichkeit einer Abschiebung zu schaffen. So kam Cemal Kemal Altun trotz des laufenden Verfahrens in Auslieferungshaft und stürzte sich im erneuten Prozess vor laufenden Kameras aus dem Fenster. Sein Schicksal erzählt viel über den unmenschlichen Umgang der Bundesrepublik mit Asylbewerber*innen: Gute Beziehungen zu den türkischen Militärs wurden über den Schutz eines verfolgten Menschen gestellt.

 

Filmemacher Cem Kaya, bekannt für seine vielfach ausgezeichneten Dokumentationen wie Aşk, Mark ve Ölüm (Liebe, D-Mark und Tod), setzt sich in seiner Video-Lecture-Performance Pop, Pein, Paragraphen ausgehend von Cemal Kemal Altun mit Deutschland und dessen traditionsreicher Kollaboration mit Unrechtsstaaten auseinander. Kaya kompiliert und komponiert unterschiedlichstes Archivmaterial mit privaten Zeitdokumenten und erzählt performativ, schonungslos und mit bissigem Humor nicht nur die Rechtsgeschichte Deutschlands neu. Dabei zeichnet er nicht weniger als einen gesellschaftlichen Zustand, der weit über die damalige Zeit hinausweisend, erschreckend deutlich die Kontinuität eines Nährbodens für den nie weg gewesenen Faschismus aufzeigt. Eine ganz neue Deutschstunde also.



Premiere 6/September 2024

Gefördert aus Mitteln des Landes Berlin, Hauptstadtkulturfonds.

Foto: Esra Rotthoff

Konzept, Video, Text & Bühne
Cem Kaya
Fr.
19:30
Bühne

Anschl. Premierenparty in der Kantine


Anschl. Premierenparty in der Kantine

Team

Künstlerische Mitarbeit

Kostüm & Maske

Archivrecherche

Dramaturgie

Besetzung

Cem Kaya

EKİM Zafer Acun (Şokopop)