Anlässlich der Premiere von Oliver Frljićs Kafka-Adaption Prozess am 21/September lädt das Gorki verschiedene Expert*innen zur Auseinandersetzung mit der K-Frage ein – Wofür steht die Figur Josef K.? Wer oder was könnte »K.« in unserer Gegenwart sein?
Den Auftakt macht Vivian Liska (Professorin für deutsche Literatur und Direktorin des Instituts für jüdische Studien an der Universität Antwerpen, Belgien) mit ihrem Vortrag Kafkas ›Der Prozess‹: Vor dem Gesetz und einem anschließenden Gespräch mit Oliver Frljić.
Franz Kafkas Der Prozess (1925) ist eines der ikonischsten und meistdiskutierten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts, das oft mit einem erstickenden Gefühl von Unterdrückung, Orientierungslosigkeit und Angst assoziiert wird. Der Roman schildert auf ergreifende Weise die Erfahrung des Individuums mit der Moderne und zeigt auf erschreckende Weise die Konfrontation mit rätselhaften und allgegenwärtigen Mächten, die sowohl realistisch als auch unheimlich sind. Die Interpretationen dieser Kräfte reichen von historischen, politischen, soziologischen, psychologischen und metaphysischen Aspekten über Reflexionen über die bürokratische Massengesellschaft und Vorahnungen totalitärer Regime bis hin zu existentiellen und theologischen Krisen. Wie kommt es, dass dieser obskure, fragmentarische Roman eines jungen jüdischen Autors aus Prag, der zu Lebzeiten weitgehend unbekannt war, hundert Jahre nach seinem Tod eine so anhaltende Bedeutung erlangt? Eine eingehende Lektüre der Parabel Vor dem Gesetz und ihrer Beziehung zum Roman erhellt die vielfältigen Möglichkeiten, Kafkas Ansatz zum Gesetz für unsere Zeit zu verstehen, unter anderem als Kritik an den moralistischen Tendenzen in der heutigen Literatur und Kunst, wobei Kafkas Weigerung, moralische Klarheit zu schaffen, modernen Trends gegenübergestellt wird, die künstlerische Ausdrucksformen häufig mit präskriptiven Urteilen belegen.
Lecture & Talk in Englisch