»Was gäbe ich dafür, meiner Großmutter und meiner Mutter zu einem unmöglichen Zeitpunkt zu begegnen, an dem wir alle 15 Jahre alt wären.«
Olivia Wenzels Roman 1000 Serpentinen Angst kreist um das Leben einer jungen, in der DDR geborenen, Schwarzen Frau. Ihre Reisen führen sie – in Sprüngen zwischen Zeiten, Orten und Generationen – nach Vietnam, Berlin, Marokko, die USA, Polen und Thüringen. Wie viel passt eigentlich in ein einziges Leben? Und wie kann man von all dem erzählen, was einen ausmacht und prägt – während man selbst noch mittendrin streckt? Von der Linientreuen Großmutter in der DDR über die als Punkerin gegen das System rebellierende Mutter bis zum Leben im heutigen Berlin reisen wir durch die Geschichten einer Familie und springen von Ort zu Ort, von Erzählung zu Erzählung, von Bild zu Bild, wie beim Blättern durch ein altes Fotoalbum – nur das die Sprache der Bilder gänzlich anders gebraucht wird und den Bildern nie ganz vertraut wird. Oder wie John Berger im Roman zitiert wird: »Alle Fotografien sind eine Art Reisen und ein Ausdruck von Abwesenheit.« Die Regisseurin Anta Helena Recke, die zum ersten Mal nach ihrer Schwarzkopie der Inszenierung Mittelreich sowie der Inszenierung Die Kränkungen der Menschheit einen Roman für die Bühne adaptiert, macht mit ihren Arbeiten Erfahrungen sichtbar, die nicht allein durch Sprache erreichbar sind. Sie schafft Bilder, die davon erzählen, wie ein Leben ist, wenn man es nicht durch Lebensläufe oder amtliche Daten betrachtet, sondern sich auf den Austausch zwischen vertrauten Menschen, mit der eigenen Familie, sich selbst und seiner Geschichte bezieht.
Premiere am 27/August 2021
Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main
Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Ute Langkafel MAIFOTO
»Dieser zweistündige Abend ist wie ein schwebendes Mosaik der Worte und Gedanken und der Erinnerungen und er funktioniert. Wenn man sich auf die langsame, in ganz weiches Licht getauchten Szenen einlässt, kommt so etwas wie meditative Stimmung auf und tatsächlich ein Gefühl für Gleichzeitigkeit.«
»In einem noch immer weiß geprägten Theaterbetrieb, der seit Jahren über Rassismus debattiert, ist die Inszenierung ein Beweis, dass Diversität möglich ist. Beiläufig und zugleich sorgfältig zusammengestellt wirkt die Besetzung, die auf Entsprechungen zwischen den kulturellen Hintergründen der Spieler*innen mit ihren Figuren achtet, dies aber nicht weiter thematisiert. Überhaupt kommt die Inszenierung lässig und selbstbewusst daher – da ist sie, die neue Generation am Stadt- und Staatstheater, die intersektionales Denken, Multiperspektivität und Arbeiten auf Augenhöhe im Alltag anstrebt.«
»Die Frage, was es bedeutet, sich als nicht-weiße Person permanent zu einer Umgebung verhalten zu müssen, die einen als fremd labelt, ist zentral in „1000 Serpentinen Angst“. Recke bespielt sie durchaus in ihrer Inszenierung, deren klug verdichtete Fassung zusammen mit Hieu Hoang entstanden ist.«
»„1000 Serpentinen Angst“ bleibt auch auf der Bühne ein beeindruckender, vielschichtiger, lebenspraller Text, der das Politische, das Familiäre und das ganz Persönliche überaus dicht verschränkt.«
»… das [Ensemble] sich gegenseitig die Bälle zuwirft und aus unterschiedlichen Positionen die Ich-Erzählung ausgestaltet. Im Zentrum steht aber ganz klar die fabelhafte Shari Asha Crosson, die die Protagonistin erkennbar zur Identifikationsfigur des Abends macht.«