Der Regisseur Christian Weise über die Inszenierung von Queen Lear, einer Bearbeitung von Shakespeares King Lear
Interview: Arno Widmann
AW: Wie kamen Sie auf die Idee, jetzt King Lear zu inszenieren?
CW: Kennen Sie die BBC Serie Years and Years? Sie spielt zwischen 2028 und 2034. Eine Familie in Manchester, eingebettet in eine immer verheerendere Weltlage: Bankenpleiten, Flüchtlingsströme, Umweltkatastrophen, der weltweite Rechtsruck. Unsere heutige Welt wurde hier beängstigend, aber nachvollziehbar verändert. Diese Serie hat mich ziemlich beeindruckt. Ich selbst habe zwei tiefgreifende Veränderungen erlebt. Ich war 1989 ein Wendeteenie. Von einem Tag auf den anderen veränderte sich meine Welt durch den Fall der Mauer. Danach kamen 30 Jahre Easy-Jet-Kapitalismus. Und dann hob Corona die Welt aus den Angeln.
AW: Was hat das mit King Lear zu tun?
CW: Das ist doch das Stück der Stunde. Es gibt einen Machtwechsel am Anfang, der die gesamte Welt und die Figuren des Stückes komplett verändert. Ein einziges Ereignis – und danach ist niemand mehr der, der er zuvor war. Ich erlebe heute wieder viel intensiver, dass sich unsere Welt verändert.
AW: Und warum King Lear?
CW: Ich habe schon sehr viele Stücke von Shakespeare inszeniert. Bei Lear habe ich immer an Corinna Harfouch gedacht. Sie ist eine Powerfrau und Idealistin. Diese Mischung braucht es, um die Rolle zu spielen. Wir haben schon viel miteinander gearbeitet, und ich habe schon ein paar mal zu ihr gesagt: Hoffentlich bist Du bald alt genug für King Lear. Witzigerweise hat sie in unseren gemeinsamen Arbeiten fast immer Männer gespielt hat – Macbeth, Don Quijote, den Voland, der Teufel in der Dramatisierung von Bulgakows Roman Der Meister und Margarita. Als ich sie jetzt für den Lear fragte und sagte: Spiel den King Lear doch bitte als Queen Lear, war sie schon erstaunt. Das mussten wir ihr erstmal erklären, was wir da vorhaben.
AW: Wer ist wir?
CW: Soeren Voima und ich. Soeren Voima ist ein Schreibkollektiv, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite. Am Gorki Theater haben wir Der kleine Muck und Othello gemacht. Als ich anfing, mich mit dem Lear zu beschäftigen, war mir sofort klar, dass das ein idealer Stoff für Soeren Voima ist.
AW: Warum das?
CW: Das Stück ist, wenn man es im heutigen Diskurs von Gendergerechtigkeit liest, ziemlich altbacken. Lear hat drei Töchter. Cordelia ist ehrlich und gut, sie ist sehr wichtig für die Geschichte, aber spielt im Verlauf des Stückes keine große Rolle. Die beiden anderen sind als die starken Frauenrollen im Stück nur bösartig und gemein. Ich würde schon sagen, dass Shakespeares King Lear frauenfeindlich ist. In unserer Bearbeitung haben wir aus Queen Lears miesen Töchtern zwei Söhne gemacht und sind nur bei Cordelia als Tochter geblieben. Als Corinna Harfouch zusagte, den Lear zu spielen, gab es in dieser Setzung keinen Grund, die Rolle als Mann zu belassen. Eine starke Frau an der Spitze macht ja viele Assoziation auf. Im anderen Handlungsstrang des Dramas, gibt es den Ratgeber Graf Gloucester und dessen Söhne Edmund und Edgar. Bei diesen Figuren ist es heute ebenso schwer nachvollziehbar, dass Edmund enterbt wird, weil er ein Bas- tard ist und deshalb abgrundtief böse wird. Wir haben aus Edgar die Figur Sister Eddi gemacht, die eher wegen ihrer Klugheit von ihrer Mutter Bossy Gloucester bevorzugt wird. Sister Eddis Bruder Proud Boy Edmund fühlt sich dadurch in seinem männlichen Stolz verletzt.
AW: Wie viel Shakespeare ist noch in Ihrer Bearbeitung?
CW: Natürlich der ganze Shakespeare, aber in einem neuen Gewand. Voima und ich sind gewissermaßen spezialisiert auf die Bearbeitung klassischer Stoffe. Es macht uns immer wieder großen Spaß, die alten Stoffe neu zu lesen. Wir nehmen den Konflikt, der bei Shakespeare immer großartig ist, und beziehen ihn auf eine Situation, die wir heutzutage nachvollziehen können.
AW: Und die Sprache?
CW: Das Stück Queen Lear hat eine eigene neue moderne Sprache bekommen, die mit dem Zeitgeist spielt. Voima arbeitet sich aber sehr ordentlich an der Dramaturgie Shakespeares ab, obwohl es strukturelle Veränderungen gibt.
AW: Wie inszenieren Sie?
CW: Ich bin ein Puppenspieler. Ich betrachte die agierenden Figuren des Spiels wie Puppen. Als Typen, die bestimmte Eigenschaften haben, die lesbar sein müssen. Und ich bin Geschichtenerzähler. Ich entwerfe meist eine geschlossene Welt – darum bin ich so abhängig von Ausstatter*innen –, deren Gesetze ich erstmal inszenatorisch erfüllen muss, um sie dann brechen zu können. Inszenierungstechnisch baue ich den Schauspieler*innen für ihre Figuren ein sehr enges Netz, das sehr viel mit der Rhythmik und Spieltechnik der Komödie zu tun hat. Wenn die Abläufe geordnet sind, macht es großen Spaß sie zu brechen.
AW: Was bedeutet das für Queen Lear?
CW: Das Stück wird in unserer Inszenierung in einer filmischen Zukunft spielen. Das ist auf der einen Seite eine inhaltliche Folie und auf der anderen Seite ganz praktisch: Wenn Lear von ihren Söhnen aus ihrem Empire rausgeworfen wird, sitzt sie auf der Vorbühne des Gorki Theaters direkt am Publikum. An Shakespeare gefällt mir: Alle seine Stücke spielen auf einer leeren Bühne. Die Welt, in der das Stück spielt, muss von den Schauspieler*innen spielerisch behauptet werden. Da ist beides möglich: Einen Kosmos zu kreieren und die Möglichkeit, aus ihm auszusteigen, an das Publikum heranzutreten und direkt zu kommunizieren. Das ist für mich Theater.
(aus dem Spielzeitheft #24)
Zum Stück QUEEN LEAR