Wir haben uns entschlossen, die Aufführung von THE SITUATION am 23/Oktober abzusagen. Das Stück entstand 2015 unter der Regie von Yael Ronen. Zur »Situation« gehört heute der Krieg. Wir erkennen unsere Ohnmacht. Wir sind betroffen. In einem Krieg gibt es aber auch Getroffene. Das müssen wir uns klar machen. Dafür müssen wir Haltungen und Sprachen finden.
Der Krieg ist ein großer Vereinfacher. Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel stellt uns auf die Seite Israels. Die Hamas nahm unschuldige israelische Zivilist*innen als Geiseln und die Hamas nimmt die bereits seit Jahren durch Menschenrechtsverletzungen gebeutelte palästinensische Zivilbevölkerung selbst in Geiselhaft. Hinter diesen menschlichen Schutzschilden schießt sie Raketen ab. Die nun erfolgende Antwort Israels trifft alle Palästinenser*innen und wird sie noch weiter in die Arme der Hamas treiben. Israel aber muss sich wehren. Der Krieg verlangt nach der einfachen Einteilung in Freund und Feind. Er wird die Probleme nicht lösen. Er lebt von der Eskalation. Jetzt ruft die Hamas dazu auf, jüdische Einrichtungen in Deutschland zu attackieren. Das stellt uns an die Seite aller jüdischen Menschen in Deutschland.
Theater lebt von der Vielstimmigkeit. Von der Auseinandersetzung, vom Streit. Mit den großen Vereinfachern aber kann es wenig anfangen. Irgendwann wird der Schock über diesen inzwischen eine Woche alten Krieg, schreibt Sibylle Berg, eine unserer Autor*innen, überlagert werden von einem neuen über neue Grausamkeiten. Mitten in unsere Arbeit an den alten Kriegen, von denen auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien bis zu dem in der Ukraine, beim 6. Berliner Herbstsalon LOST, platzten am Samstag vor einer Woche die Raketen der Hamas. Unsere Auseinandersetzungen mit den alten Kriegen helfen uns nicht bei diesem neuen. Das lässt uns am Sinn unserer Anstrengungen zweifeln. Vielleicht ist Zweifel gut, aber hüten wir uns vor Verzweiflung. Sie lähmt. Es gilt: Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.
Shermin Langhoff (Intendantin) und Johannes Kirsten (Leitender Dramaturg) am 13/Oktober 2023
Ich bin am Boden zerstört und mein Herz ist gebrochen angesichts des verheerenden Gewaltkreislaufs, in dem wir gefangen sind. Ich stehe am Rande des Abgrunds und blicke nach unten.
Ich möchte weiterhin an einer Vision von Hoffnung, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit für ALLE festhalten.
Das Stück The Situation zeigt, wer wir vor fast 9 Jahren waren, als es geschrieben wurde, und wie sich die Realität damals für mich dargestellt hat. Seit Samstag ist diese Realität in ihren Grundfesten erschüttert worden.
Und während sich die Gräuel weiterhin entfalten, brauche ich einen Moment Zeit, um zu zerbrechen, mich aufzulösen.
Trauer und Wut zuzulassen.
Und für ein Ende dieses endlosen Gewaltkreislaufs zu beten.
Es heißt, Komödie ist Tragödie plus Zeit.
Wir brauchen Zeit.
Und können nur hoffen, dass aus diesem dunklen Moment ein Keim für eine neue Vision der Hoffnung erwächst.
Und dass wir in den liebenden Armen der Komödie Trost finden können.
Yael Ronen am 15/Oktober 2023