Yael Ronen

DONALD TRUMP HAT UNS DER WAHRHEIT NÄHER GEBRACHT
Porträt Yael Ronen
Foto: Esra Rotthoff

»In den 40 Jahren meines Lebens gab es noch nie eine ähnlich globale Erfahrung wie Corona. Und mittendrin dieser scheidende Präsident der USA, der sich aufführt wie ein trotziges Kleinkind.«

Lesen Sie Romane?
Selten.

Warum nicht?
Ich brauche Informationen. Ich mag keine Fiktionen. Ich interessiere mich dafür, was ist und was die Menschen damit anfangen. Wirkliche Menschen. Die haben genügend Geschichten. Man muss sich nicht noch welche ausdenken.

Haben Sie schonmal mit dem Gedanken gespielt, mit der Theaterarbeit zu pausieren?
Mir kommt dieser Gedanke immer mal wieder. Ich wurde hineingeboren ins Theater, habe nie etwas Anderes gemacht. Ich habe das Gefühl, mich niemals wirklich dafür entschieden zu haben. Alle paar Jahre stelle ich mir die Frage, ob ich das wirklich will. Ich möchte nicht, dass ich Theater mache, nur weil es mein Job ist. Aber jetzt kommt Corona hinzu. Da fragen sich sehr viele Leute, ob sie wirklich das machen, was sie machen wollen. Für uns am Theater stellt sich die Frage ganz radikal. Wir leben vom Körperkontakt mit einander und von dem mit dem Publikum.

Ist Erfolg Ihnen wichtig?
Nein. Wichtig ist mir mein Leben. Darin muss ich mich wohlfühlen. Der Erfolg am Theater erschwerte das eher. Ich fragte mich: Wer bin ich, wenn ich nicht diese Frau vom Theater bin? »Wer bin ich?« war lange eine wichtige Frage für mich. Ich war neugierig auf mein Ich ohne Theater.

Sie könnten doch etwas Anderes probieren.
Ich probiere es am Theater. Ich benutze das Theater als Instrument zur Erforschung der Wirklichkeit. Aber ich probiere auch, wie Theater heilen könnte. Ich benutze das Theater eher wie eine Wissenschaftlerin: Ich habe ein Forschungsprogramm und dann geht es los.

Auch wie eine Schamanin?
Auch wie eine Schamanin.

Sind Sie eine Heilerin?
Ja und nein. Ich habe das Gefühl: Je älter ich werde, desto weniger weiß ich. Zurzeit bin ich in erster Linie damit beschäftigt, jede Menge Zweifel zu sammeln.

Fühlen Sie sich wohl dabei?
Manchmal denke ich, es wäre einfacher, feste Überzeugungen zu haben, einen einfachen Pfad, dem man folgt. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, mit meinen Zweifeln der Wahrheit näher zu kommen.

Ihr neuestes Stück heißt Death Positive – States of Emergency, das Stück zur Corona-Krise. Jetzt höre ich: Sie arbeiten an einem weiteren Corona-Stück. Was wollen Sie da zeigen, was Sie nicht in Death Positive schon gezeigt haben?
Ich weiß es nicht. Aber mit diesem »Ich weiß es nicht« beginne ich meist die Arbeit an einem Stück. Jetzt kommt hinzu, dass im Augenblick alle nicht wissen, was zu tun ist. Nicht nur im Theater sondern live. Überall auf der Welt. Das amüsiert mich. Jetzt müssen alle das machen, was ich schon immer mache: probieren. Jetzt müssen alle sich auf neue Situationen einstellen. Eine globale Initiation.

Wie arbeiten Sie an Ihrem neuen Corona-Stück?
Es gibt die äußere Wirklichkeit und es gibt meine innere. Ich suche nach den Verbindungen zwischen beiden. Ich frage mich: Woher beziehe ich meine Informationen, welchen Quellen traue ich, welchen nicht? Etwas passiert in der Welt. Es wirkt ein auf die Gesellschaft, auf mich. Diesen Bewegungen gehe ich nach …

Sie denken nicht an Szenen, die wir später im Theater sehen werden?
Nein, nein. Die kommen ganz am Schluss. Am Anfang gibt es nur diese Bewegung zwischen dem, was draußen ist und, wie sich das mit mir verbindet, wie ich es verbinde.

Machen sich dank Corona heute mehr Leute solche Gedanken?
Ganz sicher. Auch wenn man Verschwörungstheorien einmal beiseite lässt, so gibt es doch heute weltweit so viele einander widersprechende Ansichten, ja Erfahrungen, dass sich die Frage danach, welche davon wahr sind, aufdrängt. Auch weil von den Antworten soviel für unser Leben abhängt. In den 40 Jahren meines Lebens gab es noch niemals eine ähnlich globale Erfahrung. Und mittendrin dieser scheidende Präsident der USA, der sich aufführt wie ein trotziges Kleinkind. Bisher schickte man Leute, die sich ihre eigene Realität schufen, zur*m Psychiater*in. Dank Trump soll das jetzt als eine legitime Entscheidung angesehen werden. Er ist aber, darin liegt die Ironie der Geschichte, der Bote der Wahrheit. Er führt uns vor, wohin die eigene Konstruktion der Wirklichkeit führen kann, wenn sie nicht abgestimmt wird mit den Konstruktionen der anderen.

Interview: Arno Widmann

Death positive – States of Emergency

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