Thilo Bode über Verschiebungen in den Machtverhältnissen, die die Demokratie, die Marktwirtschaft, die Selbstbestimmtheit und die Freiheit gefährden.
Haben Sie schon einmal mit einem Theater zusammengearbeitet?
Nein, aber ich finde diese Erfahrung, besonders bei einem politischen, dokumentarischen Stück, spannend und bereichernd.
Herr Bode, was haben Sie gegen Konzerne?
Wir brauchen Konzerne. Konzernchef*innen sind auch nicht per se ›die Bösen‹, wie auch die NGOs und ihre Chef*innen nicht automatisch ›die Guten‹ sind. Konzernchef*innen sind verpflichtet, alles zu tun, um für die Aktionär*innen den größtmöglichen Gewinn herauszuholen. Das Drama, das sich leider nicht nur auf der Bühne abspielt, ist, dass dieser Kontext sie – ganz legal – Entscheidungen treffen lässt, die verheerende Wirkungen für die ganze Welt haben. Es ist eine Tragödie für die Menschheit, dass Konzerne ihr gewaltiges technologisches Potential nicht zum Wohl der Allgemeinheit, sondern zu ihrem Schaden einsetzen. Nehmen Sie die fantastischen Fortschritte bei der Minderung des Spritverbrauches von Automobilen. Die wurden ausschließlich dazu genutzt, immer schwerere Autos mit noch mehr PS und noch größerem Ausstoß von Treibhausgasen zu bauen, anstatt Autos mit effektiv weniger Spritverbrauch zu produzieren. Dann ständen wir im Kampf gegen den CO2-Ausstoß ganz anders da.
Seit 1989 klopfen Sie den mächtigen Konzernen auf die Finger – erst bei Greenpeace, dann bei Foodwatch – daneben in Büchern wie Die Diktatur der Konzerne. Die sind dabei immer mächtiger geworden. Aber Sie knicken nicht ein.
Warum sollten wir einknicken? Unsere Arbeit besteht darin, zu sagen was ist. Nur daraus ergibt sich das Potenzial für Veränderungen. Natürlich liebt man, wenn man Erfolg hat. Aber wir dürfen uns unsere Arbeit nicht schönreden. Da stimmt leider, dass die vereinten Bemühungen der letzten Jahrzehnte in den unterschiedlichsten Bereichen zwar hie und da zu kleinen Verbesserungen beigetragen haben, aber das Ungleichgewicht zwischen Konzernen und Bürger*innen ist noch mehr zugunsten der Konzerne gewachsen. Da hilft nur Öffentlichkeit. Dort muss ein Druck entstehen, der die Politik dazu bringt, die Macht der Konzerne zu kontrollieren.
In Ihrem Buch ist von dieser Hoffnung nichts zu spüren.
Hoffnung zu geben, ist etwas für die Kirche. Meine Aufgabe ist es, Empörung über unhaltbare Zustände zu schaffen. Es hat sich ein industriell-politischer Komplex herausgebildet, in dem Konzerne und Politik zum gegenseitigen Nutzen eine Zweckgemeinschaft bilden, die keine Entscheidungen mehr gegen Konzerne trifft. Das wurde uns gerade in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Die Automobilkonzerne konnten unter den Augen der Aufsichtsbehörden ihre Wagen so ausstatten, dass sie auf den Straßen zwar weiter die Umwelt verpesteten, auf den Teststrecken aber sauber blieben. Die Politik lässt es zu, dass VW, Daimler und Co. sich auf Kosten ihrer Kund*innen und der Gesundheit der Bürger*innen bereichern.
Ein Betrug, ein klarer Gesetzesverstoß?
Darüber streiten derzeit die Gerichte. Auf jeden Fall verstößt die verniedlichend genannte »Schummel-Software« gegen den Geist der offiziellen Auto-und Klimapolitik. Dass noch nicht ausgemacht ist, ob es sich um einen Gesetzesverstoß handelt, liegt genau daran, dass die Rechtsabteilungen der Konzerne die Gesetze entscheidend mitformulieren. Desinformationen, Lügen, Manipulation und Betrug gehören mit zum Geschäftsmodell der meisten großen Konzerne, ob Nahrungsmittel-, Automobil-, Finanz- oder Digitalkonzerne. Sie alle schädigen uns, müssen aber nicht dafür haften. Der Staat tut, was die Konzerne wollen. Ganz unabhängig davon, welche Partei gerade das Sagen hat.
Die Corona-Maßnahmen zeigen uns doch, dass man sehr gut gegen die Konzerne vorgehen kann. Ganze Wirtschaftszweige werden lahmgelegt.
Ja, aber nicht, um deren Geschäftsmodelle zu verändern, sondern um die Gesundheit von Bürger*innen in einer dramatischen Notlage zu schützen und gleichermaßen die Wirtschaft in Gang zu halten. Diese Entschlossenheit ist dem Staat aufgezwungen und er kann, wie man sieht, auch liefern. Aber wir brauchen etwas anderes: Nämlich in ganz normalen Zeiten das beinahe als natürlich hingenommene, zerstörerische Handeln der Konzerne zu kontrollieren. Am Ende wird Corona den Konzentrationsprozess – z.B. beim Einzelhandel – noch einmal verstärken und die großen Konzerne werden als Corona-Gewinner dastehen und noch einmal größer werden. Wenn es Regierungen und Parlamente nicht schaffen, die Konzerne zu kontrollieren, ist die Demokratie am Ende. Denn dann kann man einfach den Konzernen die Regierung übertragen. Das wäre zumindest ehrlich!
Schon vor 17 Jahren warnten Sie in Ihrem Buch Die Demokratie verrät ihre Kinder davor, dass die Demokratie dabei ist, sich selbst abzuschaffen.
Wahr ist leider, dass sich nichts verbessert hat. Die parlamentarische Demokratie verkommt zur Hülle. Das mindert meinen großen Respekt vor den hart arbeitenden Abgeordneten und Regierungsmitgliedern überhaupt nicht. Unter unser aller Augen verschieben sich die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft jedoch in einem Ausmaß, das die Demokratie, die Marktwirtschaft, unsere Selbstbestimmtheit und unsere Freiheit gefährdet. Und wenn dies in einem Theaterstück zum Ausdruck kommt und die Menschen nachdenklich macht, betrachte ich dies als Erfolg!
Interview: Arno Widmann
Macht der Konzerne ist eine Produktion des Maxim Gorki Theaters in Kooperation mit der Schöpflin Stiftung.
Macht der Konzerne