Was ist das für ein Land, in dem Minderjährige ohne Prozess im Gefängnis sitzen? In dem der Vizepremier Frauen das Lachen verbieten will? Und in dem gläubige Muslime zusammen mit Fußballfans und linken Aktivisten gegen die Zubetonierung eines Parks demonstrieren? Die Türkei präsentiert sich gerne als perfektes Beispiel einer gelungenen Synthese aus moderatem Islam und westlicher Demokratie. Tatsächlich, so konstatiert Ece Temelkuran, befindet sich ihr Land in einem schizophrenen Zustand, pendelt zwischen Minderwertigkeitskomplex und übersteigertem Selbstbewusstsein, baut neue Brücken nach Europa und bricht zugleich längst bestehende ab. Die blutige Vergangenheit wurde nie aufgearbeitet, und nach der kurzen Hoffnung, die die Proteste um den Gezi-Park brachten, ist die Gesellschaft mehr denn je auf Konformität ausgerichtet, für Andersdenkende wie emanzipierte Frauen oder Atheisten scheint kein Platz mehr zu sein. Anhand von persönlichen Erfahrungen und aktuellen politischen Ereignissen gibt die Autorin einen kenntnisreichen Einblick in ein Land voller Widersprüche, warnt vor einer zunehmenden Totalisierung und plädiert kompromisslos für eine offene Gesellschaft.
Die gefeierte Autorin Ece Temelkuran präsentiert ihr neustes Buch Euphorie und Wehmut: Persönliche Erfahrungen und Analysen der gegenwärtigen politischen Lage in der Türkei verdichtet sie zu einem Porträt eines Landes, das sich selbst noch sucht.
Es liest Mareike Beykirch.
Moderation: Daniel Bax
Zur Autorin
Ece Temelkuran, geboren 1973 in Izmir, ist Juristin, Schriftstellerin und Journalistin. Aufgrund ihrer oppositionellen Haltung und Kritik an der Regierungspartei verlor sie ihre Stelle bei einer der großen türkischen Tageszeitungen. Ihr Roman Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann erschien 2014 im Atlantik Verlag.