CAN DÜNDARS THEATER KOLUMNE #43

CAN DÜNDAR’IN TİYATRO SÜTUNU
Karikatur Serkan Altigune


Karikatur: Serkan Altuniğne

– Herr Direktor, bei dem Volleyballspiel der **** war auf TRT eine **** zu sehen. Und nachdem sich die **** eingemischt haben, ist plötzlich ****. Was sollen wir tun? Wie lautet ihr Befehl?
– Wie konservativ sind wir geworden, dass wir alles tabuisiert und zensiert haben… Ich verstehe kein Wort?
Ja, sehr gut. Macht weiter so…

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EINE BRUST BRINGT DIE TÜRKEI IN AUFRUHR

Wenn man mich bitten würde ein Beispiel zu nennen, um zu erklären, wie konservativ die Türkei in letzter Zeit geworden ist, hätte ich kein besseres finden können:
Anfang Juni wurde in Texas die Volleyball Nations League ausgetragen, bei der die USA die Gegnerinnen des türkischen Nationalteams der Frauen waren. Ein außerordentlich spannendes Spiel, bei dem die türkischen Fans vor Aufregung auf und ab sprangen! Unter ihnen befand sich auch eine junge Frau, deren Brust für einen kurzen Moment und von den Live-Kameras beobachtet, aus dem Dekoleté ihrer Bluse hervorschien. (1)

Was ist schon dabei, denken Sie? Nun, das Spiel wurde von der staatlichen Fernsehanstalt TRT übertragen, das von der islamistischen Regierung kontrolliert wird und wo sonst sogar Musikerinnen, die ein nur etwas zu tief sitzendes Dekolletée tragen, zensiert werden. Es handelt sich also um einen Riesenskandal! Dazu kam auch noch, dass der Kommentator genau in jenem Augenblick sagte, »sie schenken uns Freude«, wobei er eigentlich die Spielerinnen meinte.

Der »Skandal« wurde auf den Sozialen Medien sofort verbreitet und teils satirisch, teils kritisch kommentiert. Die TRT hat sich umgehend öffentlich entschuldigt:

»Bei der Live-Übertragung kam es zu einer unangenehmen Situation. Dieses verstörende Bild wurde in verschiedenen Medien fälschlich mit unserer Institution in Verbindung gebracht. Dieses Bild, das absolut im Widerspruch zu unserer redaktionellen Politik steht, stammt vom übertragenden US-Sender und das Unbehagen über diese Situation wurde der anderen Partei auch übermittelt.«

Doch damit nicht genug: Die mediale Verbreitung der Aufnahme wurde gerichtlich verboten und die TRT musste ihren Instagram-Account vorübergehend deaktivieren.

Frauenvereinigungen verurteilten das Vorgehen der TRT und verkündeten: »Das ist Taliban-Mentalität... Wir werden diese Mentalität aus der Geschichte tilgen.«

Die »Heldin«, die die Türkei in Aufruhr versetzte wurde umgehend ausfindig gemacht: Die Englischlehrerin, die in den USA Grafikdesign studiert, musste nach dem »Vorfall« ihre Social Media Accounts deaktivieren.
 

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Hinter diesem jüngsten Ultrakonservatismus steckt natürlich die Politik der türkischen Regierung, die den politischen Islam in allen Bereichen durchsetzt und sich auch in das Privatleben einmischt. So auch bei den Fernsehsendern.

Der für die Zensur zuständige Oberste Rat für Radio und Fernsehen verhängt mit dem Vorwand des »Schutzes der Familie« hohe Geldstrafen nicht nur gegen lineare Fernsehsender, sondern auch gegen Plattformen wie Netflix, Disney und Amazon. 

Einige Beispiele hierzu aus dem letzten Sommer:

Der Sachverständigenbericht zum Film Anne+ auf Netflix, der von einer queeren Beziehung erzählt, enthält folgende Aussagen:

 »Die Weigerung des Films, die Grenzen von Geschlecht, Sexualität und Beziehungen anzuerkennen, die Konstruktion einer alternativen geschlechtsspezifischen idealen Welt, die Veränderung der universellen Familienform, detaillierte Szenen mit intensiver Obszönität und die Normalisierung und sogar als ›gesund‹ definierten Abnormalitäten, wurden als Verstoß gegen das Prinzip des Schutzes der Familie angesehen.«

Netflix erhielt nach diesem Bericht natürlich eine hohe Strafe.

Über die spanische Produktion Elite sagt der Bericht:

»Sie [die Serie] widerspricht den nationalen und ideellen Werten der Gesellschaft, der allgemeinen Moral und dem Prinzip des Schutzes der Familie...«. Die Folge sind hohe Geldstrafen...

Auch Love Victor von Disney+ sei »öffentliches Ärgernis und unmoralisch«. Und zu bestrafen! Modern Love auf Amazon Prime? »Die Dialoge widersprechen den moralischen Werten der Gesellschaft.« Bestrafen wir sie!

Der Gymnasiast und Eine Nacht in Rom auf Mubi? Die haben obszöne Szenen gedreht. Die Strafe verdienen sie!
Genauso wie The Book of Queer auf Blu TV und Lost Highway auf beIN MOVIES STARS…

Ein Großteil der Mitglieder des Obersten Rats für Radio und Fernsehen wird von der Partei, die die Mehrheit im Parlament hat (d.h. der AKP), ernannt. Und da der Rat die Institution ist, die Rundfunkanstalten lizenziert, werden solcherlei Einschätzungen von Gerichten als Befehl akzeptiert. Am Ende führt dies bei den meisten Produktionsfirmen zu Selbstzensur, erotische Szenen und gleichgeschlechtliche Beziehungen werden aus Drehbüchern entfernt, um nicht bestraft zu werden.
 

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Natürlich sind die Auswirkungen des steigenden Konservatismus auch im täglichen Leben intensiv zu spüren. Mitte Juni wurden Schülerinnen bei einer Abschlussfeier auf dem Hof eines Gymnasiums in der Stadt Gebze abgewiesen, weil sie angeblich »nicht der Kleiderordnung entsprechend« gekleidet waren.

Sie hatten ärmellose Kleider an oder Röcke, die ihre Knie nicht bedeckten. Die Schulleitung war der Meinung, dass »Schüler*innen keine Kleidung tragen dürfen, die den nationalen und moralischen Werten widerspricht«. Die Kleidung, die gegen diese »Werte« sei, wird wie folgt beschrieben:

»Zerrissene oder löchrige Hosen, transparente Kleidung, Shorts und Leggings, die die Körperlinien zeigen, Miniröcke, kurze Hosen, ärmellose Hemden und T-Shirts, Schals, Mützen, Hüte, Taschen und ähnliches mit Symbolen, Figuren und Schriftzügen, die politische Symbole enthalten...«

Glücklicherweise widersetzten sich einige diesem Unsinn entschlossen. Die Schülerinnen und ihre Familien, die nicht an der Zeremonie teilnehmen sollten, protestierten so lange, bis die Polizei kam. Die Schulleitung machte einen Rückzieher und die Schülerinnen wurden zur Feier zugelassen.

Wenn staatliche Behörden sich so verhalten, was soll man dann von den »loyalen Bürger*innen« erwarten? Sie tragen ihren Teil dazu bei. Mitte Juni griff eine Gruppe von 50 Personen unter islamistischen Parolen die Schüler*innen einer privaten Tanzschule an, die eine öffentliche Veranstaltung in einem Park in Diyarbakır organisiert hatte. Zwei der Schüler*innen wurden dabei verletzt und mussten ins Krankenhaus.

Doch die Gegenwehr blieb zum Glück auch hier nicht aus: Eine Plattform bestehend aus 109 zivilgesellschaftlichen Organisationen fand sich zusammen, um den Angriff zu verurteilen.
 

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Noch eine Nachricht aus dem letzten Monat: 

In Istanbul begann der Prozess gegen 15 Männer, die ein 13-jähriges Kind in Istanbul vergewaltigt haben sollen. Laut der Anklageschrift filmte der erste Angeklagte das junge Mädchen während der Vergewaltigung und drohte ihr, das Video ihrem Bruder zu zeigen, der sie töten würde. Sie wurde danach von weiteren Männern vergewaltigt. Diese Tortur dauerte ein Jahr lang.

Als ob das nicht schon furchtbar genug wäre, fragte die Anwältin des Angeklagten das 13-jährige Opfer bei der Anhörung, ob ihre Lehrer*innen sie nicht wegen der Länge ihrer Röcke ermahnt hätten. In einem konservativen Klima kann die Rocklänge schließlich als mildernder Umstand für Vergewaltiger angesehen werden.

Die Konservativen der Türkei, einem Land in dem allein im vergangenen Jahr 403 Femizide begangen wurden, geraten nicht etwa durch diese Tragödien und schrecklichen Vergewaltigungen von Frauen und Kindern in Panik, sondern durch eine Brustwarze, die für einige Sekunden sichtbar wurde. Ein Glück, dass das öffentliche Fernsehen dieses schändliche Bild zensierte und die nationale Moral wieder bereinigt wurde.
 


(1) https://www.youtube.com/shorts/DcYfBZAO4WQ