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Dieser Frühling ist mein siebter in Berlin. Sieben Mal habe ich gesehen, wie die Stadt die Sonne begrüßt und ihren schwarzen Mantel abstreift, den sie fast ein halbes Jahr lang getragen hat. Wie die Kirschbäume ihre rosaroten Halsketten anlegen, wie die Berliner*innen sich auf den Wiesen ausbreiten, ihre Gesichter zur Sonne strecken, als beteten sie sie an ...
Wie überall auf der Welt weckt der Frühling auch hier die Natur, die Menschen und ihren Geist; die Stadt wird ein fröhlicher Festplatz. Er weckt die Energie, die Freude, die Liebe und die Hoffnung.
Wir Exilant*innen aus der Türkei, die in Berlin leben, begehen diesen Frühling mit einer wagen Hoffnung. In der Türkei finden im Mai Wahlen statt. Alle fragen sich, was wohl passieren wird. Werden wir gewinnen? Werden sie verlieren? Werden sie gehen, wenn sie verlieren? Werden wir zurückkehren können?
Das ist nicht irgendeine Wahl; es ist ein Referendum über Autokratie und Demokratie. Vor allem für diejenigen, die sich in Haft oder im Exil befinden, ist es noch mehr. Ein Kampf um Leben und Tod. Die politischen Gefangenen werden frei und mit ihren Lieben vereint sein, die Exilant*innen werden zurückkehren und sich dem großen Karneval auf den Plätzen der Städte anschließen. Oder ... Die dunklen Wolken, die über dem Land liegen, werden sich verdichten, die Repressionen stärker werden, die Exilant*innen werden die schon gepackten Koffer wieder auspacken und die Hoffnung, zurückkehren zu können, auf einen anderen Frühling verschieben. Eltern werden weiter die Tage zählen, in der Hoffnung, ihre Kinder zu ihren Lebzeiten noch einmal zu sehen. Die Gefangenen werden sich fragen, ob sie die Freiheit noch einmal genießen werden können.
Wir sind an solch einem Punkt, wie der große türkische Dichter Hasan Hüseyin schon schrieb:
Ein Teil von uns verliert das Laub
Ein Teil von uns ist ein Frühlingsgarten
Der Mai ist voller Überraschungen. Die Geschichte lehrt uns, dass er nicht immer mit guten Nachrichten kommt.
Als der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund auf dem ehemaligen Berliner Opernplatz, gegenüber des Gorki Theaters während ihrer »Aktion wider den undeutschen Geist« Bücher verbrannte, war es auch Mai. Und es war auch Mai, als die Nazis am Ende eines Krieges, der Millionen von Menschen das Leben kostete, bedingungslos kapitulierten.
Im Mai 1968 rebellierten junge Menschen in allen Teilen der Welt, und 1972 wurden ebenfalls im Mai drei junge Menschen in der Türkei erhängt, weil sie rebellierten.
Am 1. Mai 1977 versammelten sich hunderttausende Arbeiter*innen auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Doch die Kundgebung wurde mit einem bis heute nicht aufgeklärten Massaker niedergeschlagen und wurde zum »blutigsten 1. Mai« der türkischen Geschichte.
Deshalb kann man dem Mai nicht wirklich trauen ...
Zuletzt sind am 28. Mai 2013 Millionen von Menschen mit dem Ruf nach Freiheit auf die Straße gegangen, als eine kleine Demonstration von Umweltaktivist*innen im Gezi-Park am Taksim-Platz zum größten Aufstand in der Geschichte der Türkei wurde. Dieser Aufstand im Mai wurde niedergeschlagen, indem auf die Demonstrierenden mit Reizgas geschossen und junge Menschen verprügelt und ermordet wurden. Die mit dem Mai aufgeflammte Hoffnung war in den Händen eines noch repressiver gewordenen Regimes erloschen.
Jetzt haben wir unsere Uhren auf den 14. Mai gestellt und warten: Werden wir nach einer 25-jährigen Dunkelheit wieder das Licht erblicken?
Werden wir wie in Brasilien und Chile den Sieg auf den Straßen singend feiern können? Werden wir die politischen Gefangenen vor den Gefängnistoren jubelnd in Freiheit begrüßen können? Werden wir endlich wieder mit unseren Lieben vereint sein? Werden wir endlich auf den Straßen eines demokratischen Landes in Freiheit gehen können?
Wenn wir in diesem Mai im Gorki den zehnten Jahrestag des Gezi-Aufstandes mit einem Festival begehen, werden wir auch mit einem Auge auf die Türkei blicken und darüber diskutieren, was dort vor sich geht. Wie auf einer Wippe, die zwischen tiefster Dunkelheit und hellem Licht auf und ab geht. Wie das Berliner Wetter, das mal trüb, mal sonnig ist, werden unsere Herzen in diesem Frühling sein. Mal werden wir mit guten Nachrichten aufsteigen, mal mit schlechten abfallen.
In seinen »Tagebüchern« schreibt Stefan Zweig im Mai 1940:
»Alles hat sich zum Schlimmen, nein zum Schlimmsten gewendet [...] Jetzt schwimmt man wieder mit dem Schicksal, ganz ihm ausgeliefert, ruderlos, steuerlos, ja mehr als je und hatte sich schon am Ufer gemeint. [...] Jedenfalls, man täte gut, ein Fläschchen mit Morphium jederzeit bereit zu haben. Vielleicht wird man es brauchen.« (26. Mai)
»Momentan habe ich keine Kraft. Keinen Mut, noch einmal zu packen, zu reisen, ehe man nicht weiß, wohin. Denn wo ist das Wo, das einem ruhigen Lebensraum garantiert, wirkliches Gesichertsein für ein Jahrzehnt. Wenn ich nur die Biografie fertig bringen könnte, dann wäre wieder etwas Atemraum gewonnen. Jedenfalls den Wilson geschrieben, um die »Sternstunden« abzuschließen […].« (25. Mai)
»Der Gedanke, daß meine Bücher überhaupt nicht mehr existieren ist einfach erschütternd, wenn mich noch etwas erschüttern könnte. Viel ärger, daß man verurteilt bleibt, in der gleichen Sprache noch zeitlebens fortzuschreiben die nur von Menschen gesprochen wird, die einen nicht lesen dürfen – daß es für meine Generation schon zu spät ist, endgültig zu spät zum Hinüber und man sich eigentlich verloren geben muß in jedem Sinn« (29. Mai)
»Dabei sehe ich kein Land, in das ich eigentlich noch wollte, ich bin viel zu müde, noch einmal mit Sack und Pack zu übersiedeln, […] Eben Nachricht, daß ich jetzt nach Brasilien könnte […]. Aber soll ich es tun? Wieder fort von der Arbeit, vom Haus, von allem ins Bodenlose, wieder ganz sich fallen lassen ins Ungewisse, wieder Zeit versäumen mit Vorträgen und Geselligkeiten, während einem die Seele starr im Leibe steckt.« (30. Mai)
»Daß man, nahe seinem sechzigsten Jahr, wie ein Verbrecher gejagt werden könnte, hätte man sich in der Jugend und im Hochgefühl unseres Jahrhunderts auch nicht träumen lassen.« (2. Juni)
Zweig hat sich am Ende jener Reise, mit 61 Jahren, mit dem Fläschchen Morphium, das er bereit hatte, das Leben genommen. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, »Ich grüße meine Freunde! Mögen sie bei Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht. Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.«
Seine Freunde sahen die Morgenröte nach der langen Nacht« fünf Jahre später.
Wenn man diesen Brief, 80 Jahre nachdem er geschrieben wurde in Berlin liest, in dem Alter, in dem Zweig sich das Leben nahm, nach einer sehr langen Nacht auf die Morgenröte wartend, kann ein Teil von uns das Laub verlieren.
Doch wir sollten an die »Sternstunden der Menschheit«, an die wandelnde Kraft des Monats Mai und den bleibenden Sieg des Guten glauben.