Melek Mosso, Konzertfoto Bursa, Juni 2019
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Laut einer Studie zur »Generation Z« der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, beklagen sich 87% der jungen Menschen in der Türkei über Arbeitslosigkeit, 83% über die vorherrschende Einkommensdisparität und 76% der Befragten vertrauen den Politiker*innen nicht. Der Anteil der jungen Menschen, der Hoffnungen für die Zukunft des Landes hat, liegt gerade mal bei 10%. Die wichtigste Erkenntnis jedoch ist, dass 73% der Befragten angeben, in einem anderen Land leben zu wollen. Die meisten davon in Deutschland. (1)
Die Migrationsstatistik zeigt, dass dies nicht beim Wunsch bleibt. Es gibt zurzeit eine sehr hohe Emigrationswelle, und der größte Anteil der Emigrierenden ist zwischen 25 und 29 Jahre alt.
Präsident Erdoğan kommentiert diesen Sachverhalt so:
»Wir bemitleiden jene, die an die Tore fremder Länder klopfen, nur um ein besseres Auto fahren zu können, ein besseres Handy kaufen zu können, oder noch mehr Konzerte besuchen zu können.«
Reicht nicht alleine dieser Satz, um zu beweisen, wie Recht die jungen Menschen haben?
Erklärt die Gleichgültigkeit des »Ein-Mann-Regimes«, das den Braindrain seines Landes an Autos, Handys und Konzerte knüpft, nicht schon alles?
Die Konzerte waren der meistdiskutierte Teil dieser Aussage, der manche mit Wut, andere mit einem ironischen Lächeln begegneten. Denn im letzten Sommer gab es so gut wie keine Konzerte in der Türkei. Über den Sommer hinweg wurden 14 Festivals und unzählige Konzerte durch lokale Behörden aus diversen Gründen verboten.
Es begann im Mai. Das Konzert der gefeierten kurdischen Sängerin Aynur Doğan, die durch alle Kontinente tourt, wurde durch die Stadtverwaltung von Kocaeli als »unangebracht« eingestuft und verboten. Der eigentliche Grund ist allgemein bekannt: Doğan singt kurdische Lieder. Mit der gleichen Begründung wurden die Konzerte der Gruppe Stêrka Karwan an der Universität von Bitlis, des Sängers Mem Ararat in Bursa, der Sängerin Xecê in Şırnak, des Sängers Ara Malikian in Ankara, der Gruppe Metin & Kemal Kahraman in Muş, des Sängers Apolas Lermi in Sakarya nicht zugelassen. Auffällig war in den Begründungen die Betonung auf die »öffentliche Sicherheit«. Im Gegensatz zu türkischen oder englischen, stellten kurdische, zazaische, armenische oder griechische Lieder eine Sicherheitsgefährdung dar.
Danach rollten die Verbote wie eine Lawine über die Konzertbesucher*innen hinweg: Beim Rosenfestival in Isparta war Melek Mosso die verbotene Künstlerin. Ihr »Vergehen« war, zwei Jahre zuvor bei einem ihrer Konzerte ihre nackten Beine gezeigt und zu den Frauen gesagt zu haben: »Wenn ihr eure Beine zeigen wollt, zeigt sie. Wenn ihr reden wollt, redet. Mädels, ihr habt es nicht nötig, dass euch jemand sagt, was ihr tun oder wie ihr euch kleiden sollt. Ihr habt eure eigenen Flügel.« Danach zeigte sie den Stinkefinger. (2)
Als bekannt wurde, dass Mosso ein Konzert in Isparta geben würde, hat der »Islamistische Jugendverein Anatolien« ein Verbot gefordert, mit der Begründung, sie würde zur »Unsittlichkeit« ermutigen. Der Forderung wurde sofort Folge geleistet.
Auch ein Konzert der Pop-Sängerin Aleyna Tilki, die eine Anti-LGBTQIA+-Demonstration kritisiert hatte, wurde auf Druck desselben religiösen Vereins im letzten Moment abgesagt. Tilki twitterte daraufhin: »Wir sind zurück in der Zeit der Hexenjagd. Aber ich habe Superkräfte. Ich sterbe nicht, selbst wenn ihr mich verbrennt.«
Das populärste Festival, das unter dem Vorwand, es gebe Beschwerden aus der Bevölkerung, und zum »Schutz des öffentlichen Friedens« abgesagt wurde, ist das Zeytinli Rock Festival. Und die Absage des Milyonfest Festival in Fethiye wurde damit begründet, dass die Anlage in einem Naturschutzgebiet liege. Die Anfrage nach einem alternativen Festivalgelände blieb unbeantwortet.
Auch Sänger*innen und Bands aus dem Ausland wurden mit Verboten konfrontiert. Der iranische Sänger Mohsen Namjoo wurde Ziel von islamistischen Gruppierungen, weil er Koranverse in seine Lieder einbaue, die koreanische K-Pop-Band Mirae, weil sie es sich zur Mission gemacht habe, die Homosexualität zu verbreiten.
Auf Festivals, die genehmigt wurden, galten Alkohol- und Campingverbote. Denn in den Zelten könnten Mädchen und Jungen gemeinsam übernachten und sich betrinken.
Die Verbote kommen in der Regel nach Denunziationen oder Social-Media-Kampagnen von islamistischen Gruppierungen, die ihre »nationalen und moralischen Werte« bedroht sehen. Obwohl für die meisten Konzerte und Festivals bereits Tickets verkauft wurden, sagte man sie im letzten Moment einfach ab. Die Verantwortlichen wiesen die Organisator*innen auf den Rechtsweg hin, doch eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken kann Monate dauern.
Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Kemal Kılıçdaroğlu warnte die Gouverneure mit den Worten: »Wenn Sie weiterhin Konzerte verbieten, werden Sie Millionen von Menschen gegen sich aufbringen. Hören Sie auf Claqueure zu sein, seien Sie Gouverneure des Landes.« Innenminister Soylu antwortete: »Der Staat wird keine Veranstaltung genehmigen, die ein paar Betrüger illegal unter dem Deckmantel eines Festivals veranstalten wollen.«
Neben den Verboten, die diesen Sommer geprägt haben, muss auch die »Ruheverordnung« erwähnt werden, die zu Beginn des Jahres eingeführt wurde. So ist es Veranstaltungsstätten verboten, nach Mitternacht Live-Musik anzubieten. Während der Tourismus-Saison ist die Sperrstunde auf 01:00 Uhr verlängert worden und der Ausschank von Alkohol wurde eingeschränkt. Eine Zeitlang wurde die Pandemie als Vorwand genommen, andere Male waren es willkürliche Entscheidungen.
Der Künstler Zülfü Livaneli schreibt in seiner Kolumne in der Zeitung Oksijen, dass in der westlichen Welt in Zeiten der Diktaturen Bücher verbrannt wurden, in der östlichen hingegen Konzerte verboten werden. »In der westlichen Welt wandeln sich Gesellschaften über die Literatur; in der östlichen erreicht man das Volk eher über die Poesie und die Musik.«
Laut Livaneli sind Konzertverbote nichts Neues. »Doch früher waren die Gründe hierfür politisch, heutzutage sind sie soziologisch. (...) Der ›autoritäre Vater‹ denkt, dass es seine Aufgabe sei, die Moral des Volkes zu kontrollieren und möchte den Lebensstil der Gesellschaft entsprechend seiner Vorstellung wandeln.«
Aus dieser Perspektive betrachtet, sind Konzertverbote nur eine weitere Etappe auf dem Weg Erdoğans, eine »religiöse Generation« zu erschaffen. Das ist Teil einer Politik, die auch das gesellschaftliche Leben zu beherrschen versucht. Junge Menschen, die ohnehin mit Arbeitslosigkeit und Armut zu kämpfen haben, verlassen hoffnungslos ihr Land und emigrieren in den freien Westen, nachdem man ihren Lebensstil kontrollieren und ihnen nicht einmal ein bisschen Spaß gönnen will.
Doch es gibt noch Künstler*innen, die sich den Verboten widersetzen und den Kampf nicht aufgeben. Die Band Mor ve Ötesi, deren Konzert auch verboten wurde, gab mit einem Tweet, in dem sie auf die Wahlen im kommenden Frühsommer anspielte, Hoffnung:
»Dieser Sommer ist der letzte der Verbotspolitik.«
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(1) Konrad Adenauer Stiftung Türkei: Jugendstudie Türkei 2021
(2) Bursada Bugün TV: Melek Mosso'dan şaşırtan hareket: Bacaklarını göstererek...