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Ich erinnere mich an den ersten Tag, an dem ich ins Gorki kam, als wäre es gestern gewesen. Es war der 5. September 2016. Ein Montag.
Vor gerade mal vier Tagen war ich nach Berlin gezogen und Osman Kavala kam in die Stadt. Osman ist ein Geschäftsmann, der sein Leben, sein Hab und Gut und all seine Energie der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Verteidigung der Menschenrechte gewidmet hat.
Egal, ob Sie eine oppositionelle Zeitung oder ein Musik-Album in einer zu vergessen drohenden Sprache herausbringen, ob Sie die Frauen einer Region, in der häusliche Gewalt zur Tagesordnung gehört, unterstützen, oder eine Menschenrechtsbiennale organisieren wollen, bei Osman Kavala sind Sie an der richtigen Adresse. Er tut alles, um einen Weg zu finden, Ihr Projekt zu unterstützen. Er hat zum EU-Beitrittsprozess der Türkei, zur Annäherung zwischen Ankara und Eriwan und zu Friedensverhandlungen mit den Kurden beigetragen. Er ist Unterstützer von Organisationen wie Amnesty International, der Menschenrechtsorganisation Helsinki Citizens' Assembly und der Stiftung für türkische Geschichte.
Wir haben 2013 an seiner Tür geklopft. Die Proteste, die mit einem Einspruch gegen die Entfernung von Bäumen im Istanbuler Gezi-Park begannen, rollten in wenigen Tagen wie eine Lawine durch das Land und brachten Millionen in 80 Städten auf die Straße. Die Regierung hatte den Aufstand gewaltsam niedergeschlagen.
Die Medien wurden eingeschüchtert; der populärste Nachrichtensender strahlte eine Dokumentation über das Leben der Pinguine aus, während die Straßen in Flammen standen. In der Zwischenzeit wurden viele Journalist*innen von den Fernsehsendern und Zeitungen, bei denen sie beschäftigt waren, gefeuert. Gemeinsam begannen wir eine Medienstruktur vorzubereiten, die den Menschen die Wahrheit sagen würde. Und natürlich gingen wir zu Osman Kavala. Ein paar Monate lang versammelten wir uns in seinem Büro und planten einen freien Fernsehsender zu gründen. Aber es kam nicht dazu.
Nach eben jenen Tagen trafen wir uns zum ersten Mal wieder. Er erzählte mir, dass er nach unserem Treffen im LiteraturHaus Café im Gorki mit einigen Künstler*innen zu einer Veranstaltung zusammenkommen würde und lud mich auch dazu ein. Dort stellte er mich Shermin Langhoff, der Intendantin des Maxim Gorki Theaters vor. Der Grundstein für die Kolumne, die Sie gerade lesen, wurde an diesem Tag gelegt. Am frühen Abend war ich mit meinem zukünftigen Vermieter verabredet und musste deshalb früh gehen.
Unser zweites Treffen in Berlin fand am 9. Mai 2017 statt. Es war ein Dienstag. Dass er in der Stadt war erfuhr ich von der WhatsApp-Nachricht, die er mir geschickt hatte.
- Guten Morgen Can, bist du in Berlin?
- Ich bin gerade aus Italien zurückgekommen. Wollen wir uns morgen treffen?
- Ich fliege heute Abend zurück. Wie sieht es heute aus?
- Dann müssen wir uns sehen. Ich würde dich gerne in unser Büro einladen.
- Wo? Ich kann zwischen 13:35 und 13:45 vorbeikommen.
- Super! Ich erwarte dich.
Ich hatte angefangen, im Büro von Correctiv zu arbeiten und war mit der Gründung von #ÖZGÜRÜZ beschäftigt. Ich wollte ihm unser Büro zeigen und ihm von den Vorbereitungen berichten. Er kam, wir haben uns nett unterhalten und er blieb nicht länger als 15 Minuten. Dass ich mich so detailliert an diese Korrespondenz erinnere, liegt nicht an meinem guten Gedächtnis oder meinem gepflegten Archiv. Ich zitiere nur aus Erdoğans Propagandablatt Akit, das unsere WhatsApp-Nachrichten ein paar Monate später veröffentlichte.
Fünf Monate nach unserem Treffen in Berlin, am 18. Oktober 2017 wurde Osman am Flughafen in Gewahrsam genommen. Er kam gerade von einer Konferenz mit dem Goethe Institut zurück, mit dem er an einem gemeinsames Projekt für syrische Geflüchtete arbeitete. Die Polizei beschlagnahmte umgehend sein Mobiltelefon und fand dort auch unsere Korrespondenz. Und wie immer haben sie, um einen Verdachtsfall zu konstruieren das Ganze an ihre Propagandamaschinerie »geleakt«.
Die Überschrift in der Akit lautete: »Wir enthüllen das geheime Treffen des Roten Soros und des Spions Dündar: Sie trafen sich für ihren verräterischen Plan in Berlin. Es hat sich herausgestellt, dass Osman Kavala, genannt ›Roter Soros‹, der wegen des Versuchs, die Republik Türkei und ihre Regierung zu stürzen, verhaftet wurde, ein geheimes Treffen in Deutschland mit Can Dündar hatte, der nach seinen terroristischen Aktivitäten ins Ausland geflohen war. Zu den Hauptthemen des mysteriösen Treffens, das in Can Dündars Büro stattfand, gehörten die Schritte, die unternommen werden sollten, um die Menschen zu Straßenprotesten zu bewegen.«
»Geheime Versammlung«, »mysteriöses Treffen«, »verräterischer Plan«...
Das klingt alles ganz furchtbar, oder? Aus einem 15-minütigen Gespräch zum Tee, eine Vorbereitung zur Rebellion zu machen, ist eine Operationstaktik, die wir von den regierungsnahen Medien gewohnt waren. Aber dieses Mal konnten wir nicht darüber lachen, weil Osman verhaftet worden war; ihm wurde vorgeworfen, »einen Umsturzversuch unternommen zu haben« und »die Gezi-Rebellion zu finanzieren«.
Während die Gezi-Proteste den Menschen Hoffnung gab, hatten sie Erdoğan einen Schrecken eingejagt. Den Protestierenden musste eine Lektion erteilt werden, doch Millionen Menschen konnten nicht alle inhaftiert werden.
Da Gezi eine völlig spontane, unorganisierte und führerlose Bewegung war, konnten sie keine Organisation und keinen Anführer finden, die sie bestrafen konnten. Doch Erdoğan glaubte daran, dass der Aufstand von der christlichen Welt provoziert wurde, versuchte dies mit der Live-Berichterstattung von US-Sendern zu belegen und behauptete, dass Soros und das westliche Kapital die türkische Wirtschaft ruinieren wolle. Er glaubte daran, dass man »Osman Kavala, den türkischen Soros« dafür benutzen würde. Er behauptete, »Hinter der Person (Kavala), dem Financier der Terroristen bei den Gezi-Vorfällen, steht der berühmte ungarische Jude Soros.« Auch die Zusammenarbeit der von Kavala gegründeten Anadolu Kulturstiftung mit deutschen Stiftungen diente seiner Paranoia. Mit der Anklageschrift, die genau eineinhalb Jahre nach Kavalas Verhaftung vorlag, wurden 17 Personen, darunter auch ich, die während der Gezi-Proteste ihre Stimme erhoben, die Regierung kritisiert, oder sich für den Erhalt des Parks eingesetzt hatten, angeklagt.
Fast allen drohte lebenslange Haft. Die Anschuldigungen waren unglaublich: Anwendung der »Methoden des gewaltfreien Widerstands« von Gene Sharp, dem Theoretiker der Occupy-Bewegung, Überreichung von Blumen an die Polizei, Verspottung der Autorität, Aufstachelung der Öffentlichkeit mit einem Theaterstück über Rebellion.
Und laut Staatsanwaltschaft finanzierte Osman Kavala all diese Aktionen. Es gab zwar keine Geldtransfers, die das beweisen würden, doch Kavala sagte in einem Gespräch, dass für die Demonstranten, Gasmasken, Regenmäntel, Gebäck, Stühle und Tische gekauft werden sollten.
Und ich? Laut Anklageschrift war ich ein "Aktionsagent". Die sechs Seiten der 657-seitigen Anklageschrift, die mir gewidmet sind, besagen, dass ich versucht habe über meinen Twitter-Account, linke Organisationen auf die Straße zu treiben, um die Situation zu verschärfen. Die Gezi-Proteste begannen im Mai 2013, meinen Twitter-Account habe ich erst im August des gleichen Jahres eingerichtet. Eine kurze Recherche hätte gereicht, um diese Behauptung zu widerlegen, doch es gab noch einen schwerwiegenderen Vorwurf gegen mich: »Eine neue Medienstruktur unter der Anleitung von Osman Kavala vorzubereiten...«
Eigentlich waren wir es ja, die Osman um Unterstützung gebeten hatten. Offensichtlich hatte die Polizei zu diesem Zeitpunkt alle unsere Telefonate abgehört. Laut Anklageschrift suchten wir in diesen Gesprächen nach Geldern, um einen Fernseh- und Online-Sender zu gründen. Sie fragen sich, was das Verbrechen sein soll?
So ist es eben, in der Türkei verklagt zu werden. Nicht der Staatsanwalt muss beweisen, dass ein Verbrechen begangen wurde; Sie müssen beweisen, dass Sie keine Straftat begangen haben.
Der Staatsanwalt befragte Kavala zum Treffen mit mir. Die Antwort ist in der Anklageschrift folgendermaßen niedergeschrieben: »Can Dündar ist mir als Journalist schon länger bekannt. In Berlin habe ich ihn in seinem Büro besucht. Da ich weitere Termine hatte, habe ich ihn nur kurz getroffen. Das war ein Höflichkeitsbesuch. Ich bin nicht in seine Arbeit in Deutschland involviert.« Listig wird hinzugefügt: »Wie aus den Belegen der digitalen Korrespondenz hervorgeht, wurde festgestellt, dass sie sich auch 2016 getroffen haben.«
Na und?
Aufgrund solcher unbelegten, grundlosen und lächerlichen Anschuldigungen hielten sie Kavala viereinhalb Jahre lang in einer Einzelzelle im Gefängnis. Die Regierung ignorierte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Ende 2019, die besagte, dass die Inhaftierung eine Verletzung der Freiheitsrechte sei. Als der Druck zunahm, folgte im Februar 2020 ein Freispruch. Osman Kavala packte seine Sachen. Doch noch bevor er durch das Gefängnistor kam, wurde er erneut verhaftet. Diesmal wurde ihm vorgeworfen, »versucht zu haben, die Regierung beim Putschversuch vom 15. Juli zu stürzen«. Am nächsten Tag beschuldigte Erdogan die Richter, die das Urteil verkündeten, versucht zu haben, ihn mit einer »List« freizusprechen. Ungehorsame Richter wurden durch gehorsame Richter ersetzt. Die Gezi-Prozesse begannen auf ein Neues.
Unterdessen leitete die parlamentarische Versammlung des Europarats ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei ein, weil sie die Urteile der EGMR nicht befolgt hatte, und die Botschafter von zehn westlichen Ländern gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie die sofortige Freilassung Kavalas forderten. Doch Kavala war für Erdoğan der Name einer Obsession geworden. Um ihn in Haft zu halten, riskierte er es sogar, dass die Türkei vollständig aus Europa ausgeschlossen wird, genauso wie die Verhängung von Sanktionen. Er drohte dem Westen mit der Ausweisung der zehn Botschafter. Kavala hingegen erklärte, dass er sich in diesem Fall, der völlig politisiert wurde, nicht mehr verteidigen werde.
Schließlich wurde im letzten Monat, am 25. April, 9 Jahre nach den Protesten, das Urteil verkündet: Osman Kavala wurde wegen des »Versuchs, die Regierung zu stürzen«, zu einer schweren lebenslangen Haftstrafe, sieben weitere Angeklagte zu jeweils 18 Jahren Haft verurteilt. Und gegen jene neun Verurteilten, die sich so wie ich im Ausland befinden, wurden Haftbefehle erlassen.
Unter den Verurteilten ist die 71-jährige Architektin Mücella Yapıcı. Die Dokumentarfilmerin Çiğdem Mater, die sich wegen Dreharbeiten in Deutschland befand und freiwillig vor Gericht erschien, wurde verhaftet, weil Fluchtgefahr bestünde. Osman Kavala beschrieb das Urteil als einen »Attentat unter Einsatz der Justiz«.
Nach Verkündung des Urteils veranstalteten fünf ehemalige Häftlinge in türkischen Gefängnissen, Deniz Yücel, Aslı Erdoğan, Peter Steudtner, Zehra Doğan und ich, einen Protestmarsch, der vor dem Bundeskanzleramt begann. Deniz Yücel, für dessen Freilassung wir vor fünf Jahren in Berlin protestieren, lief diesmal für einen anderen Gefangenen neben mir. Und ich hielt ein Foto von Osman Kavala in die Höhe, der einen hohen Preis für seinen Höflichkeitsbesuch vor sechs Jahren bezahlte.
Leider war der Bundeskanzler nicht in seinem Büro. Bei seinem Antrittsbesuch in Ankara lobte er Erdoğans diplomatische Bemühungen zum Frieden zwischen Russland und der Ukraine. Als wir am Deutschen Bundestag und der Europäischen Kommission vorbeizogen und zur türkischen Botschaft liefen, unterhielten wir uns darüber, dass Erdoğan ein Kandidat für den Friedensnobelpreis sein könnte, wenn er Putin und Selenskyj zusammenbringen würde. Osman Kavala lächelte uns vom Poster in meiner Hand zu.