Der Ton wird schärfer. Es heißt wieder Wir gegen Die: Die Autoritären - alte Alphamänner, neurechte Front-Frauen - propagieren ihre Vorstellung von Nation und Identität. Und die anderen sind »die Verräter«. Aber wie lässt sich der Kampfbegriff »Verrat« in diesem Endzeit-Szenario wirklich beschreiben?
Falk Richter beschäftigt sich nach SMALL TOWN BOY wieder mit den neuralgischen Punkten unserer gegenwärtigen Verfasstheit, die angesichts der alarmierenden politischen Entwicklungen geprägt ist von Hilflosigkeit, Überforderung und egozentrischer Paranoia. Für das Recherche-Projekt arbeiten sich die SchauspielerInnen Mareike Beykirch, Mehmet Ateşçi, Knut Berger , Orit Nahmias, Daniel Lommatzsch und Çiğdem Teke durch das Dickicht heutiger ideologischer Verläufe, auf der Suche nach der Frage Was macht einen zum Verräter? Was haben wir verraten? Mit wem haben wir kollaboriert?
Ausgangspunkt ihrer Suche nach einer politischen und persönlichen Familienaufstellung ist ein Kinderzimmer in den 90igern: Dort formieren sich die ProtagonistInnen zu einer unerschrockenen Garagenband und stürzen sich mit dem musikalischen Backup von Depeche Mode über Punk bis zu Whitney Houston lustvoll und selbstironisch in ein unübersichtliches Konfliktfeld. Sie erzählen von blinden Flecken in der eigenen Familiengeschichte und dem was nicht gesagt wird, durchforsten Trumps Tweets, Hate Speech wie heutige Sprechmechanismen – und suchen hartnäckig nach einer Vision für eine Gesellschaft der Vielen und Unterschiedlichen.
Uraufführung: 28. April 2017
Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Ute Langkafel
Eine Produktion des Maxim Gorki Theaters. Aufführungsrechte beim S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien
Hinweis: Çiğdem Teke befindet sich derzeit in Elternzeit. Ihre Rolle wird während dieser Zeit von Margarita Breitkreiz gespielt.
»›Verräter – Die letzten Tage‹ ist Begriffsabklopfung und radikal subjektive Standortbestimmung, ist auch Wuttirade gegen diejenigen, die andere und Andersdenkende gewohnheitsmäßig als Verräter diffamieren.«
»Die Schauspielerband gehört zu den Stärken des Abends, sie kann alles von Punk bis Depeche Mode und lässt die Siebziger und Achtziger anklingen, die Katrin Hoffmann nebst einer Gelsenkirchener Abraumhalde im Bühnenbild verewigt hat: Kinderzimmerposter von Madonna, Michael Jackson, Rambo und den Ramones, dazu ein Fernseher in Rosa.«
»Richter ist an diesem Abend stark, wenn er das Thema Verrat persönlich greifbar macht: wenn er auf intime Erzählungen vertraut, hinter denen die größeren Zusammenhänge erst im Kopf des Zuschauers aufscheinen.«
»Wie so oft am Gorki liefern auch bei Falk Richter die Biografien der Darstellerinnen und Darsteller viel Basismaterial für die Stückentwicklung. Vor allem zu Beginn des Abends hat Falk Richter daraus starke, berührende Monologe destilliert, die bei aller Privatheit klug über das rein persönliche Bekenntnis hinausreichen.«
»All in all, Richter and the Maxim Gorki created performance that reaffirms a fundamental social role of theatre. The ability to actively respond to the world around us by turning a critical eye towards the happenings of today in now more then ever of great importance. The thought provoking production ends optimistically and leaves us with an encouraging metaphor. At one point during the metamorphosis of a butterfly certain caterpillar-cells, sensing the coming change, begin to resist their own transformation. Perhaps what we are experiencing today is much the same. We may be living the last days of the caterpillar afraid of the natural progression towards something greater.«