Im Menschen muss alles herrlich sein

Der Roman Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann erzählt vom Zerfall eines politischen Systems, von gesellschaftlichen Umbruchzeiten und deren Auswirkungen auf die Lebenswege von den zwei Freundinnen Lena und Tatjana, die in den 90ern die Ukraine verließen und in Jena strandeten, und ihren Töchtern Edita und Nina – die auf je eigene Weise versuchen in der Gegenwart mit dem nahezu unbekannten Erbe ihrer Mütter, mit dem Zerfall des Kolosses Sowjetunion und seinen Nachwirkungen, umzugehen. Über unterschiedliche Umwege, durch Gespräche mit Verwandten, durch Bücher, durch die Arbeit, durch Recherchen im Internet erkennen die Töchter erst nach und nach, was ihre Mütter (und Großmütter) zu den Frauen gemacht hat, die sie heute sind – und stoßen dabei auf zahlreiche unbekannte Flecken, auf Schönes und Schreckliches, auf Vergessenes, auf Verdrängtes, auf Schweigen. »Das Land, in das sie hineingeboren wurden, ist schon amputiert, aber es schmerzt trotzdem noch. Sonst kann man wenig mit Sicherheit sagen.« Ist es noch möglich, fragt sich Nina, mit der eigenen Mutter nicht in der Vergangenheit zu sprechen oder in der Zukunft? Ihr in die Augen zu schauen nur im Jetzt? Sich nicht mehr vorwerfen, was war, oder beklagen, was niemals sein wird? Aber je näher sie herantreten, desto unschärfer scheint das Bild zu werden, desto mehr Fragen tauchen auf.

In der Reihe »Was mich bewegt« der NZZ, in der wichtige Stimmen der internationalen Literaturszene zu Wort kommen, schreibt Sasha Marianna Salzmann: »›Geheimnisse‹ nennt sich ein ukrainisches Spiel bei dem Kinder ein Loch in die Erde buddeln, alles Bunte hineinwerfen, was sie finden können – blühende Blumen, glänzende Steine, grelle Haargummis, schimmernde Puppenkleidung -, dann legen sie eine Glasscheibe über die Grube, bedecken sie mit Erde und laufen davon. Erst wenn sie sich unbeobachtet fühlen, kehren sie zurück, legen die Stelle wieder frei und betrachten durch das Glas ihre geheimen Schätze.« Nach diesem Spiel hat eine der markantesten Stimmen der heutigen Ukraine, Oksana Sabuschko, ihren 2009 erschienenen Roman benannt: Museum der vergessenen Geheimnisse. Sabuschko führt dieses Spiel auf jene Zeit zurück, als die Bolschewiken die Macht in der Ukraine übernahmen und sich die Menschen gezwungen sahen, ihre Ikonen zu vergraben oder ihren Schmuck, eben alles, was ihnen teuer war. Als Sabuschko ein paar Jahre später gefragt wurde, ob es überhaupt sinnvoll sei, die lange verborgenen ukrainischen Geheimnisse auszugraben, antwortete sie, das sei die eigentliche Frage in der ukrainischen Gesellschaft seit der Unabhängigkeit des Landes. Immerhin lebten mindestens zwei Generationen mit dem Schweigen. Das Wesen eines Geheimnisses ist, dass man ahnungslos bleibt, wer sonst noch Bescheid weiß und worüber genau. Auch ob man selbst die ganze Geschichte kennt und ob sie der Wahrheit entspricht, bleibt einem verborgen. Wenn es sich dabei, wie im Fall der Ukraine, um ein historisches Ereignis, um einen Genozid, handelt, dann ist das Geheimnis Teil einer kollektiven Erfahrung, die wie Lava unter einer Kruste des Schweigens fließt.« Der Roman Im Menschen muss alles herrlich sein lässt Raum für diese Geheimnisse – und findet eine Sprache, für die Fragen, die gestellt werden sollten.

Regisseur Sebastian Nübling und Autor*in Sasha Marianna Salzmann verbindet eine sehr lange Zusammenarbeit, er hat bereits am Maxim Gorki Theater Salzmanns ersten Roman Ausser sich uraufgeführt.


Premiere am 27/Oktober 2023


Foto: Esra Rotthoff
Bühnenfotos: Ute Langkafel MAIFOTO
Trailer: Schnittmenge


Im Rahmen des 6. Berliner Herbstsalon 2023 LOST – YOU GO SLAVIA 

Mi.
19:30
Bühne

with English surtitles

with English surtitles


Team

Bühne/Kostüme

Lichtdesign

Dramaturgie

Besetzung

Yanina Cerón

Lea Draeger

Anastasia Gubareva

ÇİĞDEM TEKE

Pressestimmen

»Mit Yanina Cerón (Edita), Lea Draeger (Nina), Anastasia Gubareva (Tatjana) und Çiğdem Teke (Lena) stehen vier Schauspielerinnen auf der Bühne, die ohne Rücksicht auf Verluste menschliche Abgründe durchleben, alle Töne und Zwischentöne beherrschen: Ihre qualvolle Selbstentblößung ist ganz große Sprach- und Schauspielkunst.«

 

 

»Schöner, bewegender kann man vom Schmerz um Verlorenes nicht erzählen. Oft sind Theaterabende viel zu lang und gähnend langweilig. Dieser ist – mit nur anderthalb Stunden – viel zu kurz. Ein Universum an Gedanken und Gefühlen wird eröffnet, in dem man gern noch mehr Zeit verbracht hätte.«

Frank Dietschreit, rbbKultur

»Es ist dann doch wirklich erstaunlich wie viel Stoff und wie viel Drama und wie viel Leben und Emotion in 90 Minuten passen. […] Nübling schafft es mit seiner Dramaturgin Valerie Göhring für jede Figur dann doch genau die Schlüsselszenen auf die Bühne zu stellen, die es braucht um plastische Figuren und auch um Menschen entstehen zu lassen.«

Barbara Behrendt, Deutschlandfunk Kultur